Gottesdienst: ein Witz! – Man kann ihn halten oder: FEIERN!

Wer kennt sie nicht: Verwandtschaftsfeste, einen 40. oder 70. Geburtstag, eine Hochzeit etc.? ‒ Feste führen „verwandte Menschen“ zusammen, fröhlich, heiter, leicht. Und auffällig dabei: Dort hat das Spiel in Form von Theater- oder Sketchspiel einen festen Sitz im Leben. Das provoziert wesentliche Fragen: Ist der feiernde Mensch also immer auch ein spielender Mensch?! Und ist der Gottesdienst nicht auch solch ein Fest, eine Feier vor Gott und darum auch von einander verwandten (verbundenen) Menschen? Wäre schön, aber… Oder doch?! – Dieser Artikel bzw. die Grundaussagen hier provozieren grundlegende Fragen zu unserem Gottesdienstverständnis und legen ein Fundament für den Weiterweg.

Während aber beim Festen gelacht, gespielt, gegessen wird, wird in Gottesdiensten in ernster Weise weitgehend aufgeklärt, unterrichtet, appelliert und eher selten gelacht, gespielt oder selbst Abendmahl gefeiert. Aber immerhin: Im Anschluss – nach (!) dem Gottesdienst – beim Catering ist vieles davon angesagt… Was würde das für einen Unterschied machen, wenn etwas davon schon im (!) Gottesdienst erfahrbar wäre?

Feier-Freude

Dabei hat das Gottesdienst-Feiern das Zeugs dazu: Dem jagenden, herausfordernden Alltag ein anderes, festliches Leben entgegenzusetzen. Und damit auch Lebensfreude und den Sinn für Spiel und Lachen zu kultivieren. Wir feiern ja GOTT in unserer Mitte. Er hat sich angesagt, zugesagt – bedingungslos und freigiebig: In Christus hat er ein eindeutiges entschlossenes „Ja“ (2. Kor 1, 19f) zu uns gesprochen. Mit jedem Gottesdienst erinnern wir uns dieser „guten alten Zeit“ und  vergegenwärtigen sie: pure Bejahung meines Lebens, lauter „Yes-Freude“, auch wenn´s stürmt und kracht. Glückes genug! Grund genug, gemeinsam zu feiern! 
Im Mittelalter z.B. mit gottesdienstlichem Lachen und Spiel. Sollte lösende Gnade keine Leichtigkeit kennen, das Heilige keinen Humor und nur todernst daherkommen? Ernesto Cardenal weist den Weg: „Wir sind noch nicht im Festsaal angelangt, aber wir sind eingeladen. Wir sehen schon die Lichter und hören die Musik.“

Übung

Wie festlich zeigt sich euer Feiern? Wie würdest du die Grundatmosphäre, die „Grundtonalität“ eures Gottesdienst-Feierns beschreiben? Auf welchen Begriff, in welches Bild könntest du dies bringen? Lässt es Festlichkeit ahnen?

Gottesdienst als Fest, Spiel und Witz

Religion und Leichtigkeit sind kein Gegensatz (Kostproben hier, falls immer noch nötig…). Gerade dann, wenn der Gottesdienst als Fest des Lebens verstanden wird. Denn Fest – Spiel – Witz bilden einen harmonischen Dreiklang. Sie haben wesentliche Dinge gemeinsam.

Erlösende Glaubenserfahrung macht die Welt zum Spielraum und den Gottesdienst zum heiligen Spiel. Hier muss nicht von vorn bis hinten alles strengstens durchgetaktet oder –geplant sein, hier atmet man Luft fürs Spiel und was sich daraus ergibt (beim Singen, bei der Moderation, bei der Verkündigung). Solche Glaubenserfahrung macht experimentierfreudig, neue Kräfte und Möglichkeiten werden entdeckt und ausprobiert.
Sie macht fehlertolerant und mutig ggü. der ständigen Sorge, ob man pünktlich landen wird oder ob die Musik hält, was sie vertont. Voller Vertrauen in den Spielmeister selbst: Christus.

Gott ist Spiel- und Lebensraum

Wie sehr unser Feiern auch Spielraum ist – wenn in dessen Mitte der lebendige Christus und nicht traditionalistische Bilder von ihm stehen – zeigt sich biblisch im Weisheitsstrom des Alten Testaments, der maßgeblich auch das Christusgeschehen im Neuen Testament bestimmt. Dort besitzt die personifizierte Weisheit (sagen wir schlicht: Christus) als Gottes Liebling schon immer, von Anfang an Spielwitz, denn es heißt: „Ich war als sein Liebling bei ihm, ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit; ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.“  – Sprüche 8,30f).

Also: Wird demgemäß, mit Christus in der Mitte, der Gottesdienst als Fest, Spiel und Witz verstanden, dann ist das keine platte Fastnachts-Veranstaltung mit drögen „Helau“-Sprüchen. Er wird schöpferischer Lebens- und Spielraum gegenüber allen knechtenden Mächten, gegenüber aller Zweckorientierung und allem Nutzendenken. Und dieser Freiraum verdankt sich allein einem Gott, der mit seiner Liebe zu Mensch und Schöpfung ernst gemacht hat und die Schattenmacht des Todes durch sein Kreuz gebrochen hat. Ohne diese Dynamik wäre die Trias Fest – Spiel – Witz nur lächerlich… Aber jetzt riecht und duftet es nach Lebensfreude und –lust. Auch bei euch?

Grundaussagen dieses Artikels sind dem Buch „Gottesdienst einfach anders“ von Steffen Kaupp entnommen (Kap. 1 dort). Erhältlich bei buch+musik.

Das Lied zur Jahreslosung „Bis wir die Liebe sehn“ von „Weida & Mohns

Spotify-Playlists JUGOMAT

Von Matthias Weida:

Gemeinde-Songs: https://open.spotify.com/playlist/2pWfqjIKuiSeKj4rFJwdo3?si=af5ee59d7ef943bc

Säkulare Songs: https://open.spotify.com/playlist/5vxqzcxTAKgPZLs5yQjtJh?si=7c96397236474619

Liedpool zur Jahreslosung aus den Bänden von DAS LIEDERBUCH
Das Liederbuch 1

5 – Meine Zuflucht und Stärke

9 – Show Me, Lord

12 – Wohin sonst

16 – Mit allem, was ich bin

17 – Du bist der Schöpfer des Universums

23 – Danke

33 – In Christ Alone

35 – New Day

40 – Komm, sag es allen weiter

61 – Mein Herz schlägt für dich

80 – Heil´ger Geist, komm, wirke unter uns

82 – Atme in uns, Heiliger Geist

106 – Mitten unter uns

119 – Halt dich fest

120 – Wenn diese Freunde nicht wären

137 – Befreit durch deine Gnade

140 – Firework (säkular)

147 – Wie ein Fest nach langer Trauer

148 – Vater der Barmherzigkeit

151 – Aufstehn, aufeinander zugehn

159 – Deine Liebe

165 – Ich bin dein

167 – Freude

172 – Love Is All Around (säkular)

174 – The Rose (säkular)

175 – Marmor, Stein und Eisen bricht (säkular)

184 – Wie ein seltener Stein

185 – Keine Macht der Welt

199 – Diese Stadt

206 – Meeting, Learning, Sharing

214 – Anker in der Zeit

222 – Was uns bleibt

223 Jesus, wir sehen auf dich

230 – Your Love Never Fails

Das Liederbuch 2

8 – Open my Heart

19 – Es ist gut, dass du da bist

23 – Wir sind willkommen

29 – Mutig komm ich vor den Thron

31 – Verwandle unsere Gaben

55 – Das ist das Wunder

64 – Gemeinsam

66 – Dafür steht das Kreuz

73 – Da ist Freiheit

75 – Nobody Loves me like you

77 – Auf uns (säkular)

86 – Stand by me (säkular)

88 – Heilige und Sünder

98 – I will follow you

106 – Mittelpunkt

107 – Little Talks (säkular)

115 – Loved

116 – Who you say I am

119 – Reckless Love

121 – No longer slaves

123 – I am loved

126 – Chöre (säkular)

135 – Wie Christus mir, so ich dir

142 – You´ve got a friend in me (säkular)

148 – Noch nie

150 – So will I

170 – More than words

196 – Generation der Hoffnung

197 – Build your Kingdom here

199 – Gesandt

200 – Hilf uns einander zu helfen, Herr

203 – Jesaja 61

Alles Liebe… oder was?

Eine Auslegung der Jahreslosung 2024 (1. Kor 16,14)



Übersetzungen und Übertragungen von 1. Korinther 16,1


πάντα ὑμῶν ἐν ἀγάπῃ γινέσθω (Novum Testamentum Graece)


Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. (Einheitsübersetzung)

Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen. (Luther 2017)

Omnia vestra in caritate fiant. (Biblia Sacra Vulgata)

Bei allem, was ihr tut, lasst euch von der Liebe leiten. (Hoffnung für alle)

Alles bei euch geschehe in Liebe! (Elberfelder)

Egal was ihr macht, Hauptsache, euer Grundmotiv ist die Liebe! (Volxbibel)

Let all your things be done with charity. (King James Version)

Zusammengefasst

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“
Am Beginn jedes Jahres erscheint eine neue Jahreslosung. Das anstehende Jahr wird quasi unter ein Motto gestellt. Und in vielen Kirchen und Gemeinden beginnt das neue Kalenderjahr mit einer Predigt zur Jahreslosung.
Jahreslosungen sind Worte zum Anfang. Auch mit der 95. Jahreslosung wird das so sein. Sie ruft ja auch dazu auf, aktiv zu werden. Sie ist also besonders geeignet, um einen Startpunkt zu setzen. Dabei ist sie ursprünglich eher ein Schlusssatz. Eine Zusammenfassung. Wichtige abschließende Worte. Sie steht am Ende des 1. Korintherbriefes, den Paulus im Jahr 54./55. n. Chr. verfasst hat.
Nachdem er der Gemeinde in fünfzehn Kapiteln viele theologische Themen ausführlich dargelegt hat, nachdem er über theologische und ethische Fragen gestritten und gerungen hat, nachdem er ermahnt und ermutigt hat, da fasst er nochmal zusammen: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“

Was bisher geschah…

Paulus hatte die Gemeinde in Korinth auf seiner 2. Missionsreise (ca. 50 n. Chr.) gegründet. Das bedeutet, er kam in die Stadt und begann – als jüdischer Gelehrter – in der Synagoge zu predigen. Er las also einen Text aus dem Alten Testament und legte diesen aus. Jedesmal, wenn Paulus das tat, dann sprach er von Jesus: Wie er in Israel lebte, wie er am Kreuz gestorben war und dass er vom Tod auferstanden ist und ihm, Paulus, sogar leibhaftig begegnet war. So kamen Menschen zum Glauben an Jesus Christus und es entstanden kleine Hausgemeinden. Sie luden ihre Nachbarinnen und Nachbarn und Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen ein, so dass nach und nach eine größere christliche Gemeinde in der Stadt entstand. Paulus lehrte die Gemeinde, was es bedeutet, als Christin oder Christ zu leben. Aber nach einigen Monaten zog er weiter in die nächste Großstadt, um noch mehr Gemeinden zu gründen. Um in Kontakt zu bleiben, schrieb Paulus immer wieder Briefe an die Gemeinden, die er kannte. Zwei Briefe an die Korinther sind uns bis heute erhalten geblieben. Eine andere Möglichkeit, um auf dem Laufenden zu bleiben, bestand darin, Mitarbeitende in die Gemeinde zu schicken, damit sie nach den jungen Gemeinden sehen sollten. Und wenn es auf dem Weg lag, kam Paulus auch selbst vorbei. Wir wissen, dass er manche Gemeinden öfters besuchte.

Wenn die Katze aus dem Haus ist…

Wenn Paulus grade einmal nicht in der Gemeinde war, dann war die Christinnen und Christen in Korinth auf sich selbst gestellt. Sie mussten sich also an dem orientieren, was Paulus ihnen über das Christsein beigebracht hatte. In vielen neuen Situationen mussten sie sicher auch eigenständige, mündige Entscheidungen treffen. Natürlich waren sie da dankbar, wenn ein christlicher Lehrer (es waren damals quasi nur Männer) wie z. B. Paulus, sein Schüler Timotheus oder sogar der Apostel Petrus höchstpersönlich sie besuchte. Solche Lehrer konnten der Gemeinde in schwierigen theologischen Fragen, aber auch bei Alltagsproblemen oft weiterhelfen. Sie erzählten Geschichten von Jesus, oder von anderen Gemeinden, die dann im Gottesdienst weitererzählt und verwendet werden konnten. Solche Lehrer waren Ermutiger für die Gemeinden. Aber jeder Lehrer hatte eben auch seinen eigenen Stil und sogar seine eigenen theologischen Überzeugungen. Auch unter den ersten Christen gab es bereits große theologische Meinungsverschiedenheiten. Nachdem nun ein paar solcher christlichen Lehrer die Gemeinde in Korinth besucht hatten, bildeten sich kleine Grüppchen in der Gemeinde. Jede und Jeder schloss sich der „christlichen Richtung“ seines Lieblingslehrers an: Ein paar blieben bei der Lehre von Paulus, ein paar standen eher auf den rhetorisch geschulten Apollos, wieder andere waren Anhänger von Petrus und ein paar sagten: Wir haben den Heiligen Geist, wir brauchen keine anderen Lehrer.

Unzufrieden mit der Gesamtsituation

Paulus befindet sich im Jahr 54./55 gerade in Ephesus, als ihn Menschen aus der Gemeinde in Korinth besuchen kommen. Sie erzählen ihm, was passiert war und von den Spaltungen. Nicht nur die Grüppchenbildung ist ein Problem, sondern auch theologische Fragen und ethische Probleme sind in der Zwischenzeit aufgetaucht. Paulus schreibt daraufhin den 1. Korintherbrief und geht darin auf die konkreten Erzählungen und die Ereignisse in Korinth ein.

Dem 1. Korintherbrief zufolge geht es in der Gemeinde um folgende Themen:

  • Unterschiedliche Gruppierungen in der Gemeinde (1 Kor 1,10-17)
  • Verbotene sexuelle Beziehungen (1 Kor 5)
  • Rechtsstreit unter Christen (1 Kor 6)
  • Ehescheidung und Ehelosigkeit (1Kor 7)
  • Essen von Götzenopferfleisch (1Kor 8; 10,14–11,1)
  • Feier des Abendmahls (1 Kor 11,17-34)
  • Geistesgaben (Charismen) und deren Gebrauch (1Kor 12–14)
  • Die Auferstehung von den Toten (1 Kor 15)

Paulus macht sich Sorgen um die Gemeinde. Er weiß um die Gefahr, dass Gemeinden sich trennen und dass Menschen über solchen Streitigkeiten auseinandergehen. Mit seinem Brief versucht Paulus die Gemeinde vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren. Er ruft sie zur Einheit.

Ein wilder Haufen

Das war bei den Korinthern aber keine so leichte Angelegenheit. Denn die Stadt und ihre Bewohner war an sich bereits sehr verschieden. Die griechische Stadt Korinth lehnte sich im Jahr 146. v. Chr. gegen die Macht Roms auf, wurde jedoch besiegt und vollkommen zerstört. Die Bewohner wurden getötet oder in die Sklaverei verkauft. Fast 100 Jahre später, im Jahr 44. v. Chr. gründete Julius Cäsar die Stadt neu und baute sie wieder auf. Das lag wohl auch an der besonderen Lage von Korinth, das direkt am sog. Isthmus von Korinth liegt, einer Landenge, welche die Peleponnes mit dem griechischen Festland verbindet. Zusätzlich zur Landverbindung nähern sich an dieser Stelle der Korinthische und der Saronische Meerbusen auf sechs Kilometer an, weshalb Korinth zwei Häfen hatte und auch für Schiffsgüter einen optimalen Umschlagplatz bot. Als Handelszentrum konnte Korinth in früheren Jahrhunderten sogar mit Athen konkurrieren. Da es nach der Zerstörung keine ursprüngliche Bevölkerung Korinths mehr gab, wurden freigelassene Sklavinnen und Sklaven und ehemalige Gefängnisinsassen aus dem gesamten römischen Reich dort angesiedelt. Die Aussicht auf Reichtum war in einer solchen Handelsmetropole mehr als ein leeres Versprechen. So kamen im 1. Jh. v. Chr. Menschen aus verschiedenen Ländern, Kulturen und Religionen in das neu gegründete Korinth. Und die Stadt blühte auf, wurde sogar zur Hauptstadt Griechenlands und zum Sitz des römischen Statthalters. Dementsprechend ist Korinth im Jahr 54. n. Chr. das Zentrum für Handel und kulturelle, religiöse und soziale Vielfalt.

Gemeindesituation

Dementsprechend bestand die christliche Gemeinde in Korinth aus Menschen mit völlig verschiedenen Hintergründen und Prägungen. Neben Christinnen und Christen, die zuvor zur jüdischen Gemeinde gehört hatten, bestand die Gemeinde hauptsächlich aus Heidenchristen – Menschen, die den Glauben an heidnische Götter abgelegt hatten und nun Christinnen und Christen geworden waren. Aber auch wenn Jesus in deinem Herzen wohnt, wohnt der Opa doch in den Knochen. Entsprechend vielfältig war das Sozialverhalten, die Gewohnheiten, kulturelle Festzeiten, Familienbräuche, Frömmigkeitsstile, usw. Zudem bestand ein großer sozialer Unterschied in der Gemeinde. Während manche Gemeindeglieder als Sklavin oder Sklave arbeiten mussten, konnten andere ihre Häuser, Anwesen und ihren Wohlstand zur Feier des Gottesdienstes und der gemeinsamen Mahlfeiern zur Verfügung stellen. Diese Differenzen führten auch immer wieder zu Spannungen (vgl. 1 Kor 11).
Der Slogan der Stadt Korinth war womöglich: „Alles ist mir erlaubt.“ Paulus nimmt auf diesen Satz mehrfach Bezug und ergänzt den Satz um einen wichtigen Gedanken. (1. Kor 6,12; 10,23).

Geisterfüllt

Die Gemeinde war außerdem sehr pneumatisch geprägt. Das bedeutet, der Heilige Geist spielte eine entscheidende Rolle im Gottesdienst und in der alltäglichen Lebensführung. Paulus geht im Korintherbrief ausführlich darauf ein (1 Kor 12-14) und ermahnt die Korinther, dass sie nicht hochmütig werden, weil sie eine Fülle an Geistesgaben in der Gemeinde haben. Im Gegenteil, das Wirken des Geistes soll immer der Erbauung in der Gemeinde dienen (1. Kor 14,26).

Einen anderen Grund kann niemand legen

Wie soll in so einer Gemeinde jemals Einheit zustande kommen? Paulus sieht nur eine Möglichkeit. Die Basis jedes einzelnen Gemeindeglieds, die Basis der Identität jeder Christin und jedes Christen in Korinth muss Jesus Christus sein. „Einen anderen Grund kann niemand legen, als den der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ (1. Kor 3,11). Die Gemeinde muss sich von Jesus her als Einheit verstehen und sich von Jesus her in ihren Entscheidungen führen lassen. Andernfalls wird sie sich zerstreiten und sich spalten. Auch das Bild des Leibes, das Paulus verwendet (1 Kor 12,12-31), sagt, dass jede und jeder unterschiedliche Aufgaben hat, aber das Haupt des Leibes ist Jesus Christus. Er lenkt den ganzen Leib. Was er entscheidet tragen die verschiedenen Teile des Leibes mit. Für Paulus ist klar: Christliche Gemeinde gelingt nur dann, wenn Jesus Christus das Fundament ist.

What is Love ?

Von Jesus her stellt sich somit auch die Frage danach, was Paulus unter Liebe versteht. Wenn Paulus von der Liebe spricht, dann meint er nicht das, was im Alltag als Liebe bezeichnet wird. Das griechische Wort für Liebe (agape) bezeichnet im NT die Liebe Gottes. Eine Liebe, die sich das Liebenswerte erwählt und es dadurch kostbar macht. Die nicht liebt, weil das Gegenüber so attraktiv (anziehend) ist, sondern einfach, weil es das Gegenüber lieben will. Für Paulus ist das die Liebe, die Gott uns in Jesus Christus gezeigt und geschenkt hat (vgl. Röm 8,39). Gott ist der Ursprung und die Quelle aller Liebe (vgl. 1 Joh 4,16). Die Liebe Gottes zu uns Menschen sieht uns mit unserer Sünde und Schuld und kann nicht anders, als die Komfortzone zu verlassen und sich für uns zu opfern. Jesus gibt sich selbst in den Tod, er ist bereit alles zu geben für uns Menschen. Das ist Gottes Liebe. Gott opfert sich lieber selbst, als dass wir verloren gehen. 
Diese göttliche Liebe, die sich für uns hingibt, ist die Grundlage aller Liebe, die in der Gemeinde gelebt werden kann. In dieser Liebe etwas zu tun, bedeutet, sich dieser Liebe jederzeit bewusst zu sein. Das bedeutet, dass wir zuallererst Empfangende der Liebe Gottes sind, bevor wir sie weitergeben können. Wir müssen erst einmal wissen, wovon wir reden. Deshalb müssen wir die Liebe Gottes kennenlernen, damit wir in Liebe leben können. Aus diesem Grund erinnert Paulus die Gemeinde an die Liebe Gottes, die er in Jesus Christus gezeigt hat (1 Kor 1-2).

Ein kleiner Übersetzungsfehler

Wenn wir in den griechischen Urtext der Jahreslosung schauen, dann bemerken wir, dass sich ein kleiner Übersetzungsfehler in der Version der Jahreslosung eingeschlichen hat. Wörtlich übersetzt steht da: „Alles bei euch geschehe in Liebe.“ Es steht eigentlich nichts vom „Tun“ im Text.
Aber geht es nicht eigentlich darum, dass Liebe konkret wird und für andere in Taten erfahrbar? Doch, das möchte die Jahreslosung auch nicht bestreiten. Aber vielleicht ist es nicht immer nur liebevoll, etwas zu tun, sondern auch vielleicht einmal, etwas zu lassen. Paulus argumentiert im Korintherbrief mehrfach dafür, dass die Korinther aus Liebe Dinge lassen sollten: Götzenopferfleisch nicht zu essen, aus Liebe zum Nächsten (1 Kor 8,9), aus Liebe zum Nächsten nicht über ihn richten (1 Kor 4,5) oder aus Liebe zum Vater nicht mit der Schwiegermutter schlafen (1 Kor 5,1).

Die Jahreslosung fordert nicht nur zum Tun auf, sondern sie fragt auch: Ist es vielleicht an der Zeit, aus Liebe einmal etwas zu lassen? Vielleicht den letzten Tagesordnungspunkt auf die nächste Sitzung verschieben, aus Liebe zu den zeitlichen Ressourcen von Ehrenamtlichen? Vielleicht aus Liebe zu uns selbst nicht bei allen Aktionen dabei sein zu müssen? Vielleicht auch einmal das Reden zu lassen, gegenüber den Menschen, die vielleicht eine ganz andere Meinung haben als ich?

Auch wenn die Übersetzung der Jahreslosung an sich nicht „falsch“ ist, so verengt sie doch den Text. Lieben kann auch bedeuten: Dinge zu lassen. Gerade in allen kirchlichen Veränderungen, die wir derzeit durchlaufen, wäre das an mancher Stelle vielleicht angebracht.

Liebe als Wesensmerkmal

Was unzweifelhaft zum Text gehört ist das kleine Wörtchen „alles“. Alles in der Gemeinde soll in Liebe geschehen. Paulus bringt damit zum Ausdruck, dass die Liebe so etwas wie die Gemeinde-DNA sein sollte. Auch Jesus hat die Liebe zum Erkennungsmerkmal der Christinnen und Christen erhoben (vgl. Joh 13,35). In allem, was geschieht, im Umgang untereinander, im Miteinander, im Umgang mit Teilnehmenden, in der Verkündigung und im Leben der Christinnen und Christen soll Gottes Liebe erkennbar werden.

Eine ständige Überforderung

Kann Paulus das wirklich ernst meinen? Ist das nicht eine maßlose Überforderung, dass wirklich alles, jedes kleinste Gespräch, jeder Blick, jedes noch so kleine unwichtige Tun in Liebe geschehen soll? Wir sind doch alle bloß Menschen. Da passiert es halt mal, dass wir etwas Liebloses tun. Dass wir uns beschweren, dass wir schimpfen, dass wir über andere lästern, dass wir wütend werden (und du kannst die Liste bestimmt noch lang fortsetzen). Wie soll das alles in Liebe passieren? Ich glaube, dass Paulus sehr wohl um die Situation von uns Menschen weiß. Er will mit seinem Satz auch nicht ermahnen, so nach dem Motto: „Checkt genau, ob ihr auch das Zähneputzen in Liebe macht!“ Er möchte, dass wir uns als Christinnen und Christen an dem einen orientieren, der in allem, was er tut, die Liebe ist, nämlich Gott. Wir sollen uns von seinem Geist erfüllen lassen und von ihm lernen, wie er die Menschen sieht, nämlich voller Liebe. „Alles in Liebe“ bedeutet dann: Zu versuchen, alles so zu machen, wie Gott es machen würde.

Anders als die Welt das macht

Paulus betont mit seinem Satz auch, dass „bei euch“ alles in Liebe geschehen soll. Das heißt, dass es an anderen Stellen nicht üblich ist. Als Christinnen und Christen sind wir dazu aufgerufen uns von dem zu unterscheiden, wie es in der Welt zugeht: Egal, ob es sich dabei um kriegerische Auseinandersetzungen, die knallharten Gesetze der Wirtschaft, Hasskommentare im Internet, oder die Spaltung in unserer Gesellschaft handelt. In Korinth gab es vergleichbare Situationen, aber Paulus sagt: Bei euch soll es anders sein! Und die Liebe muss die Grundlage von euch Christinnen und Christen sein. Nur auf ihrer Basis kann es eine Einheit geben.

Liebe, die Unterschiede aushält

Jetzt könnte man meinen, dass das bedeutet, dass alles immer sehr harmonisch zugehen muss. „Alles in Liebe“ bedeutet so viel wie: „Alle sind immer nett zueinander“. Aber das meint Paulus nicht. Im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass Paulus geradezu der Meinung ist, dass die Liebe uns dazu auffordert auch unsere Differenzen auszutragen. Der gesamte 1.Korintherbrief ist voll davon, dass Paulus mit den Überzeugungen in Korinth streitet! Er weiß, er ist ganz anderer Meinung als manche. Er weiß, dass er Gemeindemitglieder damit ganz schön bloßstellt und herausfordert. Lies bspw. mal 1. Kor 5. Aber das führt nicht dazu, dass Paulus sagt: „Mit euch bin ich fertig!“, sondern im Gegenteil, er geht ins Gespräch und versucht die Korinther mit guten Argumenten zu gewinnen.

Auch unter Christinnen und Christen heute gibt es große Meinungsverschiedenheiten: Egal ob über geistliche, ethische oder politische Fragen. Leider passiert es nur selten, dass in Gemeinden „liebevoll gestritten“ wird. Stattdessen grenzt man sich voneinander ab und es entstehen Spaltungen. Die Liebe, von der Paulus erfüllt ist, sie kann Unterschiede aushalten. Sie kann auch mit Menschen im Gespräch bleiben, die ganz anders ticken als ich selbst. Die Jahreslosung könnte eine Ermutigung sein, dass wir als Christinnen und Christen miteinander reden statt übereinander. Dass wir aufeinander hören und voneinander lernen, dass wir streiten und uns danach wieder vertragen, weil wir wissen, dass wir zum gleichen Herrn gehören: Jesus Christus, in dem sich Gottes Liebe zu uns gezeigt hat.

Einer meiner Lehrer im Studium sagte mal: „Kein Mensch braucht weniger als 100% der Gnade Gottes.“ Wenn wir uns das zum Vorbild nehmen, dann können unsere Gemeinden Orte werden, wo verschiedene Meinungen zu einem fruchtbaren Ganzen geformt werden.

Liebe als Aufruf zum Losgehen

Alles in Liebe ist auch ein Aufruf zum Losgehen! Als Christinnen und Christen sind wir dazu aufgefordert, auf andere Menschen zuzugehen. Gottes Liebe ist in unsere Herzen ausgegossen (Röm 5,5), das bedeutet, sie fließt über und geht über uns hinaus. Gottes Liebe ist nicht zum Bunkern da, sondern zum Weitergeben. Es ist keine warme Kuschelliebe, in die wir uns einwickeln und dann gemütlich am Ofen einschlummern. Gottes Liebe bringt uns dazu, rauszugehen, an die Orte, wo keine Liebe ist. Wo es kalt ist. Warum sollten wir das tun? Weil wir die Quelle der Liebe kennen, weil Gottes Liebe uns erfüllt. Deshalb sollen wir anderen Menschen von diese Liebe Gottes erzählen und sie diese Liebe erfahren lassen. Jesus schickt seine Jüngerinnen und Jünger in die Welt, damit sie von der Liebe Gottes weitererzählen und damit sie diese Liebe leben – untereinander und gegenüber Menschen, die Gott nicht kennen. Das verändert die Welt!

Liebe als bleibende Herausforderung

So ein Lebensstil in der Liebe – mich von der Liebe Gottes erfüllen lassen und die Liebe weiterzugeben – das kostet mich etwas. Er fordert mich heraus, jeden Tag. Aber das ist der Weg, den Gott gewählt hat. Seine Liebe hat ihn alles gekostet. Deshalb mutet er auch uns Liebe zu. Jesus sagt: „Liebe deinen Nächsten!“ (Mk 12,31) Das ist ein Imperativ, also ein Befehl. Das bedeutet: Nicht nur, wenn dir grade danach ist sollst du andere lieben, sondern weil du von Gott geliebt bist, weil seine Liebe in dein Herz ausgegossen ist, deshalb mutet es Gott dir zu, andere zu lieben.

Was, wenn es nicht geht? Was, wenn du mit manchen Menschen einfach nicht grün wirst? Dann versuch doch einmal, der anderen Person etwas Gutes zu tun. So, als ob du sie lieben würdest. Denn jedesmal, wenn du das tust, einfach, weil Gott diesen anderen Menschen auch liebt, dann verändert sich etwas in dir. Fange mit etwas Kleinem an, einer kleinen Geste, einer kleinen Überraschung. Und bete für diese Person. Das verändert dein Herz und Gottes Liebe gewinnt Raum in dieser Welt. Und darum geht es: Dass Gottes Liebe in dieser Welt sichtbar wird, solange, bis einfach alles in Liebe geschieht!

Verwendete Literatur:

NESTLE, E., ALAND, K. & ALAND, B.: Novum Testamentum Graece Stuttgart28 2012.
Herbst, M., Lebendig! Vom Geheimnis mündigen Christseins, Holzgerlingen 2018.

Anregungen für die Vorbereitung eines Jugendgottesdienstes zu Diakonie

Die Idee

„Was ist das eigentlich, die Diakonie?“ Diese Frage haben mir die Konfis gleich bei meiner Vorstellung gestellt. Sie wurde die Grundlage, um gemeinsam mit den Konfirmand*innen herauszufinden, was Diakonie genau ist. Die Jahreslosung „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ (1. Kor 16,14) bietet dazu einen guten Anknüpfungspunkt. Denn sie ist nicht einfach nur ein Satz, sondern enthält zugleich eine Herausforderung: Die Motivation bei allem Tun und Handeln soll die Liebe sein. Das liest, schreibt und sagt sich schön – wie sieht das allerdings konkret aus? Johann Hinrich Wichern, ein Theologe des 19. Jahrhunderts und Mitbegründer der Diakonie betonte dabei die Nächstenliebe, die sich im sozialen Engagement zeigen muss.

Vorbereitungen

Vor der Auseinandersetzung mit dem Thema ist es sinnvoll, sich einen Überblick über die diakonischen Angebote im Kirchenbezirk zu verschaffen. Die Kreisdiakonie in den Kirchenbezirken ist dafür eine gute Anlaufstelle, um sich mit Flyern oder einer Übersicht über die vielfältigen diakonischen Angebote zu versorgen. Zudem kann auch überlegt werden, ob Person gezielt für ein spezielles Thema angefragt werden. Allerdings lohnt es sich auch, in den Kirchengemeinden nachzufragen, ob es dort diakonische Angebote, wie z.B. ein Gemeindemittagessen o.ä. gibt.

Teil 1: Was bedeutet eigentlich Diakonie?

Baustein 1: Einstieg ins Thema „Einen Schritt nach vorn“

Darum geht’s: Menschen haben ungleiche Lebensbedingungen und Chancenverteilungen. Dazu kommen Faktoren, die soziale Ungleichheit fördern und Diskriminierung und Ausgrenzung zur Folge haben. Die Konfis werden dafür sensibilisiert, ihre Fähigkeit zu Empathie wird geschult und sie werden gleichzeitig dazu angeregt, über ihre eigenen Vorurteile und gesellschaftliche Verankerungen nachzudenken.  

Material:
Die Rollenbeschreibungen müssen ausgedruckt und klein geschnitten werden. Zudem braucht es einen großen Raum bzw. eine große Fläche – je nachdem, wie viele Schritte gemacht werden.  

Anleitung: Alle Konfis ziehen zunächst eine Rollenkarte. Auf dieser Rollenkarte sind ganz knapp die Lebensbedingungen einer Person beschrieben. Die Konfis behalten ihre Rolle für sich und versuchen sich, in ihre Rolle einzufühlen, ohne mit anderen Personen darüber zu besprechen. Es macht nichts aus, dass die Konfis nur wenige Informationen über die Personen haben, denn ihre eigenen Vorstellungen und Gedanken sind gefragt.

Zu Beginn stellen sich alle Konfis auf einer Linie auf und beantworten aus ihrer Rolle heraus die Fragen, die ihnen gestellt werden. Ist die Antwort „JA“ gehen sie einen Schritt nach vorne. Ist die Antwort „NEIN“ bleiben sie stehen. Wenn alle Fragen beantwortet sind, bleiben die Konfis noch einen Moment stehen.
Die Konfis ganz vorne werden einen Blick zurück. Was sehen sie? Wie fühlt es sich an, ganz vorne zu stehen? Ebenso können auch die Konfis in der Mitte und am Ende gefragt werden: Was sehen sie? Wie fühlt es sich an?  

Auswertung: Mit den Konfis wird besprochen, wie es ihnen bei diesem Spiel erging. Mögliche Fragen können hierzu sein: Fiel es dir leicht, dich in deine Rolle einzufühlen? Wie ging es dir dabei?Was war es ein Gefühl für dich, einen Schritt vorwärtszukommen bzw. stehen zu bleiben?Gibt es etwas, das dich daran gehindert hat, einen Schritt vorwärtszukommen?Wer fühlte sich nicht gehört/nicht gesehen? ….

Baustein 2: Das Gebot der Nächstenliebe

Im Neuen Testament entfaltet Jesus das bereits alttestamentlich begründete Gebot der Nächstenliebe. Jesus wendet sich Menschen zu: Kranken, Hungernden und sozial ausgegrenzten Menschen. Immer wieder ruft er seine Zuhörer*innen dazu auf, sich an seinem Beispiel zu orientieren. Eines Tages kommt ein Mann zu Jesus und fragt ihn: „Was muss ich tun, damit ich ein Leben führe, das über dieses Leben hinaus Bestand hat? Jesus fragt ihn erst einmal zurück: „Was steht denn in der Bibel?“ Der Mann antwortet ihm: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Daraufhin sagte Jesus zu ihm: „Du weißt schon alles. Geh und handle genauso.“ Der Mann ließ allerdings nicht locker. Er fragte nach: „Woher soll ich denn wissen, wer mein Mitmensch ist?“   Gemeinsam können erst einmal Vorüberlegungen angestellt werden: Wer ist eigentlich mein Mitmensch? Und was heißt das, seinen Mitmenschen zu lieben?

Baustein 3: Der barmherzige Samariter

Um die Frage des Mannes zu beantworten, erzählt Jesus die Geschichte des barmherzigen Samariters. Die biblische Geschichte kann von jemandem vorgelesen werden. Dabei können dann Begriffe geklärt werden, z.B. Priester, Levit, Samariter. An bedeutsamen Stellen stoppt die Geschichte. Die Konfis haben die Möglichkeit, sich alle gleichzeitig in die entsprechende Person hineinzuversetzen und sie in einer Position und Körperhaltung auszudrücken. Einzelne Konfis werden gebeten, einen Satz aus ihrer Rolle heraus zu sagen, wie sich die Person fühlt oder welche Gedanken ihr durch den Kopf gehen. »Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho. Unterwegs wurde er von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn bis aufs Hemd aus und schlugen ihn zusammen. Dann machten sie sich davon und ließen ihn halb tot liegen. 31Nun kam zufällig ein Priester denselben Weg herab. Er sah den Verwundeten und ging vorbei. 32Genauso machte es ein Levit, als er zu der Stelle kam: Er sah den Verwundeten und ging vorbei. Kurze Unterbrechung: „Ihr seid jetzt der Priester/Levit?“ In welcher Haltung gehst du als Priester am Verwundeten vorbei?Wie/Wo ist dein Blick während er vorübergeht?Welche Gedanken gehen dir durch den Kopf?   33Aber dann kam ein Samariter dorthin, der auf der Reise war. Als er den Verwundeten sah, hatte er Mitleid mit ihm. Kurze Unterbrechung: „Ihr seid jetzt der Samariter“ In welcher Haltung wendest du dich als Samariter dem Verletzten zu?Warum hast du angehalten, um dem Verletzten zu helfen?Was geht in dir vor während du dem Verwundeten hilfst?   34Er ging zu ihm hin, behandelte seine Wunden mit Öl und Wein und verband sie. Dann setzte er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn in ein Gasthaus und pflegte ihn. 35Am nächsten Tag holte er zwei Silberstücke hervor, gab sie dem Wirt und sagte: ›Pflege den Verwundeten! Wenn es mehr kostet, werde ich es dir geben, wenn ich wiederkomme.‹ (Lk 12,31-35).

Baustein 3: Wer ist mein Mitmensch – damals und heute?

Damals Jesus stellt am Ende der Geschichte des barmherzigen Samariters die Frage: „Wer von den dreien ist dem Mann, der von den Räubern überfallen wurde, als Mitmensch begegnet?“ Was ist deine Antworte auf diese Frage?Was war der Auslöser für das Handeln des Samariters? Wovon hat sich der Samariter leiten lassen?   Hinweis zur Motivation des Samariters: Der Samariter hat sich von der Not des Verwundeten berühren lassen. Im Bibeltext steht: „Er hatte Mitleid.“ Ursprünglich übersetzte Martin Luther diese Stelle mit „es jammerte ihn.“ Das ist mehr als Mitleid. Mehr als Empathie. Heute heißt jammern schnell nörgeln oder alles schlecht reden. Der Jammer des Samariters ist anders. Es ist das gleiche Jammern, das Jesus in Mt 9,36 verspürt, wenn er das Volk sieht. Aus dem Griechischen könnte auch wörtlich übersetzt werden „es drehte ihm die Eingeweide um“. Sowohl Jesus als auch der Samariter sind von der Not der Menschen so betroffen, dass es sie zerreißt. Es ist ein berührt werden, das nicht nur bei der bloßen Betroffenheit stehen bleibt, sondern nicht anders kann als zu handeln.  

Heute: Im Bibeltext wird erzählt von dem Mann, der von Räubern überfallen wird. Übersetzt die Geschichte in die heutige Zeit. Nutzt dazu die Rollenkarte, die ihr am Anfang erhalten. Überlegt dabei: Wer/Was sind die „Räuber“ der heutigen Zeit? (Krankheit, Wohnungslosigkeit, Armut, Gewalt…)Wer sind heute die, die von „Räubern“ überfallen werden? Wo finden diese Menschen heute Unterstützung?

Baustein 4: Diakonie ist…

Um Menschen, die in eine Notsituation geraten sind oder die erschwerte Lebensbedingungen haben, zu unterstützen und zu helfen, hat die Evangelische Kirche bereits im 19. Jahrhundert die Diakonie gegründet. Die Grundlage des diakonischen Arbeitens ist das Gebot der Nächstenliebe. Dabei fragt die Liebe für den Nächsten, den Mitmenschen nicht: Was bringt es mir, wenn ich dir helfe? Sondern sie fragt: Was brauchst du, um gut leben zu können? An dieser Stelle können nun die in der Vorbereitung eingeholten Informationen von der Kreisdiakonie zum Einsatz kommen, um den Konfis einen Überblick über die diakonischen Angebote im Kirchenbezirk zu geben und mit ihnen über eine mögliche Exkursion zu sprechen (s. Teil 2). Alternativ bietet das Video: Was ist die Diakonie? – YouTube einen Überblick über die Angebote der Diakonie und kann somit auch zur Entscheidungsfindung dienen. Gemeinsam mit den Konfis kann der Satzanfang „Diakonie ist…“ vollendet werden. Im Anschluss an die Exkursion kann dann geprüft werden: Passt der Satz noch? Oder braucht es ein anderes Ende?

Teil 2: Wo ist Diakonie aktiv? Exkursion zu den Orten gelebter Nächstenliebe

Möglichkeit 1: Soziale Rundreise oder Konfi-Rallye #

In vielen Kirchenbezirken gibt es bereits eine soziale Rundreise oder Konfi-Rallye, der man sich mit der eigenen Konfi-Gruppe anschließen kann. An einem Mittwochnachmittag oder an einem Konfi-Samstag haben die Konfi-Gruppen die Gelegenheit die vielen diakonischen Einrichtungen im Kirchenbezirk kennenzulernen.

Möglichkeit 2: Exkursion mit den Konfis planen

Im Zusammenhang mit dem Thema Diakonie eine Exkursion zu diakonischen Angeboten zu unternehmen, ist eigentlich selbstverständlich. Über Diakonie kann viel geredet werden, aber eigentlich muss Diakonie erlebt werden. Wie geht dies besser als eine Exkursion zu diakonischen Angeboten zu unternehmen, um dort Nächstenliebe in Aktion zu sehen. Spannend ist es, mit den Konfis zu überlegen, welches Angebot der Diakonie sie so interessant finden, dass sie dieses unbedingt näher kennenlernen möchten, wie z.B. Altenheime, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Mitarbeit in der örtlichen Tafel, Eine-Welt-Laden, Second-Hand-Shop usw. Wenn im Kirchenbezirk eine Vesperkirche stattfindet, kann auch dieser Zeitraum genutzt werden, um mit der Konfi- oder Jugendgruppe an einem oder einigen Tagen mitzuhelfen.   Können sich die Konfis auf ein Angebot einigen, gilt es dann, Kontakt aufzunehmen und nachzufragen, ob ein Besuch mit Konfirmand*innen möglich ist. Vor dem Besuch kann dann mit den Konfis noch ein Fragebogen erarbeitet werden mit Fragen, die sie im Blick auf das Angebot oder die Mitarbeitenden haben. Mögliche Fragen können sein: Seit wann gibt es dieses Angebot?Wie viele Menschen nehmen dieses in Anspruch?An die Mitarbeitenden: Warum haben Sie sich dazu entschieden, in der Diakonie zu arbeiten?An die Mitarbeitenden: Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie bei einem diakonischen Träger oder einem staatlichen Träger arbeiten?   Im Anschluss an den Besuch, lohnt es sich über die Eindrücke zu sprechen. Unmittelbar nach dem Besuch kann der Gesprächsbedarf hoch sein. Daher sollte bei der Planung Zeit für eine Austauschrunde am Ende sein.

Teil 3 Einen Diakonie-Gottesdienst gestalten – Anregung

Die einzelnen Bausteinen können auch verwendet werden, um gemeinsam einen Gottesdienst zu gestalten. Die Jahreslosung „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ Kann dabei die Überschrift sein. Mit der Geschichte des barmherzigen Samariters wird der Schwerpunkt auf die Liebe zum Mitmenschen gelegt. Die Vorarbeit zur Predigt wird mit der Beschäftigung in der Konfi-Zeit oder in der Jugendgruppe geleistet. Die Entdeckungen und Beobachtungen können selbst im Gottesdienst vorgetragen werden, z.B. in Form einer Geschichte, mit der die Geschichte des barmherzigen Samariters in die heutige Zeit übersetzt wurde.  

Alternativ kann auch bei einer Exkursion zu einem diakonischen Angebot gemeinsam mit den Menschen dort überlegt werden, wie ein gemeinsamer Gottesdienst gestaltet werden kann.

Teil 4 Exkurs zum Thema Nächstenliebe und eine Idee zur möglichen Weiterarbeit

Als ich letztes Jahr beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Karlsruhe war, war die Geschichte des barmherzigen Samariters ein Tagesthema. In der Diskussion mit Vertreter*innen aus der weltweiten Kirche habe ich zum ersten Mal den Begriff „Disney Princess Theology“ gehört. Der Begriff geht zurück auf Erna Kim Hackett, Gründerin von „Liberated Together“, einer Gemeinschaft für Women of Color, Queer Women of Color und nicht-binäre Menschen. Sie ist überzeugt, dass die weiße Christenheit an einer „Disney Princess Theology“ leidet, d.h. dass sie sich in jeder Geschichte als Prinzessin sieht: Sie sind Esther, aber nie Xerxes oder Haman. Sie sind Petrus, aber niemals Judas. Und sie sind das Volk Israel, das der Sklaverei entflieht, aber nie Ägypten, welches das Volk unterdrückt hat. Damit, so Erna Kim Hackett, hat die weiße Christenheit keinen Blick für Fragen von Macht und Ungerechtigkeit.

Im ersten Moment wollte ich damals gerne widersprechen. Und im zweiten Moment habe ich gemerkt, dass es eine Wahrheit ist, die wir als weiße Christenheit hören müssen, wenn es auch weh tut. Weil es zu der Frage führt, mit wem wir uns in der Geschichte des barmherzigen Samariters identifizieren. Ich bin mir sicher, dass wir alle gern der barmherzige Samariter sein wollen, dessen Handeln von tiefer Liebe für seinen Mitmenschen motiviert ist. Niemand möchte der Priester oder der Levit sein, die beide einfach vorübergehen und nicht helfen. Doch ist es genau die Frage, die gestellt werden und die zum Nachdenken anregen muss: Wo sehe ich nur mich selbst und nicht die Not von anderen Menschen? Welche Auswirkungen haben meine Handlungen? Wie gerecht ist es, dass anderswo Menschen ausgebeutet werden, dass ich günstig einkaufen gehen kann?  Ist es in Ordnung, dass Menschen ihr Haus nicht mehr verlassen aus Angst vor Übergriffen?

Es ist das eine, Menschen in Notsituationen zu helfen. Es ist das andere, den Weg sicherer zu machen, d.h. zu schauen, was überhaupt erst dazu führt, dass Notsituationen, Ungleichheiten, Diskriminierungen oder Ausgrenzungen entstehen. Den Blick auf strukturelle Ungerechtigkeiten zu lenken und daran zu arbeiten, dass diese beseitig werden.

Impulstext für die Weiterarbeit:


Ernst Schnydrig, ein Schweizer Priester und Ordensangehöriger, der 1912 in Wallis geboren wurde und ab 1946 im Auftrag der Schweizer Caritas in der deutschen Nachkriegshilfe tätig war, schrieb eine zweite Fassung der Geschichte vom barmherzigen Samariter:

„Da ging der Samariter ein zweites Mal nach Jericho, fand einen zweiten Verwundeten, las ihn ein zweites Mal auf. Ging ein drittes, viertes Mal, ein fünftes Mal den gleichen Weg und fand jedes Mal einen Verwunderten. Er ging hundertmal und fand hundertmal. Ging tausendmal und fand tausendmal. Und immer an der gleichen Stelle.

Als er zum 2333. Male von Jerusalem nach Jericho ging, dachte er bei sich: Es liegt bestimmt wieder einer da … und stolperte darüber …, und holte dann wie üblich den üblichen Vorrat aus der Satteltasche und begann mit üblicher Sorge, diesesn neuesten, 2333. Verwundeten übungsgemäß zu salben und zu wickeln. Um ihn abschließend – weil Übung macht den Meister – mit einem einzigen Ruck auf den Esel zu verladen, der auch sofort davonlief, in die übliche Richtung der Herberge. Und dort auch richtig ankam, der Esel mit dem Verwundeten. Diesmal bloß zu zweit, ohne den Samariter. Der war nämlich in der Wüste geblieben, um dort zunächst einmal ein Räubernest auszuspionieren.

Als er über seinen 2333. Verwundeten stolperte, war ihm nämlich plötzlich die Erleuchtung gekommen: dass es eine bessere Qualität von Barmherzigkeit sei, sich vorsorglich, und zwar resolut mit dem Räubernest zu befassen, statt nachträglich Heftpflaster auszuteilen. Er merkte sich das Rezept. Und war von da ab ein immer besserer Samariter.“

Es war einmal in einer Stadt, in einem Viertel, in dem man fünf Minuten gehen musste, um einen Spielplatz zu finden, da wohnte ein Junge, Levi, mit seiner Mutter im vierten Stock eines zwanzigstöckigen Hochhauses. Vier Stockwerke über ihm lebte ein Mädchen im gleichen Alter, Samira, die hatte eine Schwester, aber die war schon fast Erwachsen. Ansonsten lebten in dem Haus noch ein paar andere Kinder, aber die meisten waren jünger oder älter als Levi. Samira und Levi waren auf der gleichen Schule und sogar in derselben Klasse. Da sie den gleichen Schulweg hatten gingen sie auf ihrem Heimweg immer auf den Spielplatz, dem einzigen grünen Platz im Umkreis von einem Kilometer, und spielten dort ausgiebig. Sie rutschten, kletterten auf Bäume, schaukelten, eroberten Schlösser, entdeckten versunkene Städte, hoben geheimnisvolle Schätze und flogen mit ihren Riesenrobotern oder Einhörnern in weit entfernte Welten. Es waren die schönsten Stunden am Tag und wann immer sie konnten, waren sie an diesem wundervollen Ort – hier war das Leben gut und schön, sowohl im Winter und sowieso im Sommer. Die Mutter von Levi kam erst später nach Hause. Bis drei Uhr konnte er draußen bleiben, denn zuhause wäre er so oder so allein gewesen. Von Samiras Eltern war zwar meistens jemand zu Hause, aber sie hatten ihr erlaubt mit Levi bis drei Uhr zu spielen.

Eines Tages wachte Levi auf und alles war anders. Die Mutter war ganz nervös. Sie starrte immer wieder auf ihr Smartphone und sagte, wie schlimm alles sei. Levi war verwirrt. Was war passiert? Er fragte seine Mutter. Sie erklärte ihm, dass er besonders gut auf seine Mutter hören müsse und auf keinen Fall das Haus verlassen darf. „Warum denn“, wollte Levi wissen. Da sagte die Mutter ein Wort, das Levi sehr verwirrte: sie meinte, „wir sind im Krieg“.

Krieg? Die Mutter hatte es mit einem solchen ernst gesagt, dass Levi nicht weiter nachfragte. Aber er machte sich seine Gedanken. Wir sind im Krieg. Gegen wen? Werden wir jetzt alle sterben? Fliegen dann auch Bomben? Das Einzige, das Levi vom Krieg wusste war, dass da Bomben abgeworfen werden und Häuser in die Luft gejagt werden. Aber er hörte gar nichts. Wo war denn der Krieg?

„Und was ist mit der Schule?“, wollte Levi wissen. „Die bleibt zu“, sagte die Mutter. „Mindestens für zwei Wochen.“ Das ist ja super, dachte sich Levi und freute sich über diese Nachricht. „Dann kann ich ja gleich zum Spielplatz“, sagte er laut. „Auf keinen Fall“, sagte die Mutter, „das ist zu gefährlich“.

Der Spielplatz war durchaus gefährlich. Einmal war Levi fast vom Baum runtergefallen als ein Ast unter seinem Fuß weggebrochen war. Zum Glück hatte er sich mit beiden Händen an einem anderen Ast gehoben, sonst wäre er mindestens drei Meter in die Tiefe gefallen. Aber bisher hatte seine Mama nie danach gefragt, was er auf dem Spielplatz tat. Warum war der Spielplatz im Krieg gefährlicher geworden? „Werfen die im Krieg auch Bomben auf Spielplätze?“, wollte Levi wissen.

Levis Mutter schaute ihren Sohn verdutzt an, dann lächelte sie ihn an, nahm ihn in den Arm und sagte: „Du bist so süß, mein Kleiner. Weißt du, das ist ein anderer Krieg. Ein Krieg ohne Bomben. Das verstehst du noch nicht. Wir müssen jetzt einfach ganz arg aufpassen und zu Hause bleiben. Wir dürfen vor allem keine anderen Menschen besuchen, sonst kann schlimmes passieren und viele Menschen sterben, wie im Krieg.“

Das war schlimm, das wollte Levi nicht. Was war das für ein seltsamer Krieg, der hier begonnen hatte? Levi fragte nicht weiter nach. Seine Mutter hatte ja gesagt, dass er es nicht verstand.

Leider musste Levis Mama trotz des Kriegs arbeiten gehen. Ihre Arbeit sei wichtig, „sonst verhungern die Menschen“, meinte sie. Das war auch schrecklich, denn wenn Menschen verhungern, sterben sie ja auch, dachte Levi. Also blieb Levi allein zu Hause. Bevor Mama gegangen war, musste er ihr nochmals versprechen, nicht das Haus zu verlassen.

Levi strengte sich an. Zwei Tage lang gelang es ihm ganz gut zu Hause zu bleiben. Seine Mama hatte ihm erlaubt mit der Spielekonsole zu spielen. Doch am dritten Tag wurde es furchtbar langweilig. Jetzt durfte er endlich einmal so viel spielen wie er wollte und merkte nun, dass das gar nicht so toll war, wie er geglaubt hatte. Ganz im Gegenteil: so langsam hatte er von diesen Spielen genug. Er wollte sich bewegen, nach draußen gehen und andere Kinder treffen. Wie ging es wohl Samira? Immer wieder musste er an den Spielplatz denken. Warum war der so gefährlich? Das konnte er sich einfach nicht erklären. Es musste doch einen Grund geben. Das wollte er wissen. Darum entschied er sich, diesem Geheimnis selbst auf die Spur zu kommen. Im Nu hatte er seine Schuhe und Jacke angezogen und war draußen. Die Straßen waren wirklich leer, nur wenige Autos waren unterwegs. In der Stadt herrschte geradezu eine gespenstische Stille. Das war Levi unheimlich. Er rannte los, um vor der Stille zu fliehen. Er wollte so schnell wie möglich zum Spielplatz. Der war doch hoffentlich noch normal. Er staunte, als er vor dem Eingang stand. Rot-Weißes Absperrband flatterte im Wind. Kein Kind war auf dem Spielplatz. Er wollte gerade auf den Spielplatz, da rief hinter ihm eine Frauenstimme: „Junge, der Spielplatz ist geschlossen. Geh nach Hause und bleib in deinem Haus. Sonst ruf ich die Polizei und die bringt dich nach Hause.“

Levi war verdutzt. Warum war Frau Müller so hart? Er kannte Frau Müller. Sie war zwar sonst auch nicht die Freundlichste gewesen aber mit der Polizei hatte sie noch keinem Kind gedroht. Levi dachte nach, bevor er kehrt machte. Warum nur war der Spielplatz so gefährlich? Mama hatte gesagt, dass es ein Krieg ohne Bomben sei. Über Krieg hatte Levi schon einiges gelernt durch seine Spiele auf der Konsole. Da gab es nicht nur Bomben, sondern auch Minen. Eigentlich waren die noch gefährlicher als Bomben. Die sah man nicht. Unsichtbar waren sie im Boden versteckt und wenn man da darüber spazierte, dann machte es „Wumm“. Das musste es sein: der Spielplatz war vermint. Wie gemein – wer das getan hatte, musste wirklich sehr böse sein.

Am Abend fragte Levi seine Mutter, ob es sein könne, dass Minen auf dem Spielplatz vergraben sind. Zuerst war seine Mutter ganz verwirrt. Dann erklärte er ihr, dass Minen ja keine Bomben sind, aber auch im Krieg verwendet werden. Außerdem weiß niemand, wo sie liegen. Levis Mutter war müde und wollte nicht lange erklären. Deshalb sagte sie: „Ja, so ähnlich ist es.“

Jetzt war Levi hellwach. Auf einen Spielplatz mit Minen würde er sich nicht begeben. Aber irgendwann müssten doch Spürhunde kommen und den Spielplatz befreien. Das war spannend. Jeden Tag schlich er sich von nun an nach draußen, um zu sehen, ob das Absperrband noch am Spielplatz flatterte. Es dauerte Wochen. Spürhunde sah er zwar keine, doch plötzlich von einem Tag auf den anderen war der Spielplatz wieder frei. Wahrscheinlich hatten die Spürhunde in der Nacht gearbeitet. „Super“, dachte Levi – „nur schade, dass ich die Spürhunde nicht gesehen habe“. Egal, er konnte wieder auf den Spielplatz.

Aber es war immer noch seltsam. Es durften nicht zu viele Kinder gleichzeitig auf den Spielplatz. Und Samira durfte auch nicht mit ihm mit. Warum war das so? Levi verstand es nicht.

Als die Schule wieder begann wurde alles von Woche zu Woche noch verrückter. Ständig musste man dort neue komische Regeln einhalten, die jedes Kind doof fand. Aber die Erwachsenen meinten, dass diese Regeln ganz wichtig seien. Natürlich glaubten die Kinder den Erwachsenen und bald sagten auch die Kinder, dass die neuen Regeln ganz wichtig sind, auch wenn sie sie nicht verstanden. Die neuen Regeln lösten die alten Regeln einfach auf. Zum Beispiel durfte man in den Pausen im Klassenzimmer nicht mehr essen. Man musste zum Essen in den Pausenhof. Und wehe wenn Levi etwas von seinem Essen an Samira abgab – dann wurde er sofort geschimpft. Das war früher eine noble Geste gewesen.

Levi fand die neuen Regeln doof. Immer wieder versuchte er die Regeln zu umgehen – nicht, weil er böse war, sondern einfach weil er leben und spielen wollte – aber manche seiner Mitschüler verpetzten ihn und dann wurde er schlimm geschimpft.

Die Zeit verging. Levi gewöhnte sich daran, dass es immer wieder neue komische Regeln gab – auch wenn er manche davon hasste. Es half nichts, sich zu wehren – denn die Wut, die ihm entgegenkam, wenn er sich nicht daran hielt, war anders als vor dem Krieg. Es war eine Wut, die aus einer großen Angst kam. Wenn er früher mal eine Strafarbeit bekommen hatte, hatte er dennoch das Gefühl gehabt, dass ihn seine Lehrer trotzdem mögen. Aber jetzt war es anders. Er bekam überhaupt nicht eine Strafarbeit, sondern eiskalt wurde ihm befohlen sich an die Regeln zu halten. Er spürte in der Stimme der Lehrer: wer sich nicht an die neuen Regeln hielt, hatte nicht nur einen kleinen Fehler gemacht, sondern etwas Unverzeihliches getan. Diese Angst hatten die Lehrer selbst und übertrugen sie bewusst oder unbewusst auf die Kinder.

Warum waren die Lehrer so geworden? Dieser Krieg ohne Bomben war wirklich schrecklich. Es war zwar niemand, den Levi kannte, während des Kriegs gestorben und auch kein Haus wurde zerstört. Aber irgendetwas war in den Lehrern, Nachbarn – ja, sogar in seiner Mutter zerstört worden. Irgendwie waren fast alle dauerhaft angespannt, ängstlicher und unfreundlicher geworden. Warum war das so?

Irgendwann war der Krieg zum Glück für Levi und alle seine Klassenkameraden vorbei. Aber es wurde gar nicht gefeiert. Er war schleichend und unauffällig vorbeigegangen. Alle waren froh, aber keiner sagte ganz offiziell, dass der Krieg jetzt vorbei ist.

Da fragte Levi seine Mutter: „Ist der Krieg jetzt eigentlich vorbei?“. „Welcher Krieg?“ fragte die Mutter. „Der, warum der Spielplatz einmal gesperrt war. Und der, weshalb die Schule so komisch war.“ „Ach Levi, bitte fang jetzt nicht mit diesem Theater an. Wir alle sind froh, dass das alles wieder vorbei ist, oder? Du kannst doch jetzt wieder raus und auf dem Spielplatz spielen.“ Mehr sagte Mama nicht.

Auch in der Schule sprach niemand mehr vom Krieg. Alles war jetzt wieder so wie früher. Die Lehrer waren nicht mehr eiskalt – zum Glück. Die Klassen waren wieder so chaotisch wie immer.

Aber unter dem Teppich des Schweigens, der sich überall ausgebreitet hatte, gärten die Fragen weiter. Auch im Unterbewusstsein von Levi: Warum war der Spielplatz so gefährlich gewesen? Warum waren plötzlich so viele Erwachsene so hart und eiskalt geworden? Warum wurden die Regeln ständig geändert? Warum waren die neuen Regeln wichtiger als die alten Regeln? Und warum brauchte man die neuen Regeln plötzlich nicht mehr? Warum hat man nicht das Ende des Kriegs gefeiert? War es überhaupt ein Krieg? Und gegen wen? Warum waren Fehler, die man im Krieg machte, unverzeihlich? Warum hatte man Levi, seinen Freundinnen und Kameraden diese Angst gemacht – denn niemand will etwas tun, das unverzeihlich ist, oder?

Ich habe diese Geschichte aus der Sicht eines Kindes geschrieben. Einiges an dieser Geschichte ist unrealistisch oder überzeichnet. Ich werde weiter unten beschreiben, weshalb ich diese Geschichte geschrieben habe und welchen Vorteil es hat eine Geschichte aus der Sicht eines Kindes zu schreiben.

Zunächst aber ein paar Anmerkungen zum Inhalt der Geschichte und was sie mit dem Mantel der Liebe und dem Teppich des Schweigens zu tun hat.

In der Geschichte gibt es einen Krieg. Der Feind, der den Krieg ausgelöst hat wird nicht näher beschrieben. Er taucht in der Geschichte gar nicht auf. Für Levi wird aber seine Welt unfreundlicher und feindlicher. Menschen, die sich ihm gegenüber früher neutral oder wohlwollend verhalten haben, sind auf einmal voller Sorge oder Angst, manchmal sogar unfreundlich, ja fast feindlich. Das Thema Feind spielt eine wichtige Rolle in dieser Geschichte.

Ich möchte an dieser Stelle den Begriff „Feind“ stark machen, weil ich glaube, dass er uns hilft etwas zu benennen, das Teil unseres Lebens ist. Zunächst: Es geht mir nicht um Feindbilder von Gruppen. Feindbilder werden gerne von Gruppen verwendet, um die eigene Zugehörigkeit zu bestärken – das geschieht meistens gar nicht mit böser Absicht, sondern um die eigene Identität zu finden, was immer durch Abgrenzung geschieht. Diese durch Gruppen aufgebauten Feindbilder können relativ leicht durch Begegnung überwunden werden.

Mit „Feind“ meine ich individuelle Feinde. Doch was macht einen anderen Menschen mir zum Feind? Ich definiere „Feind“ folgendermaßen: ein Feind ist ein Mensch, der – aus welchem Grund auch immer – mich körperlich, psychisch oder sozial erniedrigt, bedrängt oder bedroht.

Ein Feind ist nicht böse, sondern er folgt seinen Glaubenssätzen, Überzeugungen und Werten. Diese erlauben es ihm oder machen es ihm sogar zur Pflicht, mich als Person abzuwerten (zu erniedrigen), zu bedrängen oder zu bedrohen. Die Gründe für die Feindschaft liegen also in unterschiedlichen Glaubenssätzen, Überzeugungen und Werten.

Die meisten Gespräche zwischen verfeindeten Seiten geschehen auf der Sachebene. Jede Seite verteidigt die eigenen Glaubenssätze, Überzeugungen und Werte (kurz: GÜW) vehement und unterfüttert die eigenen Aussagen mit Argumenten. Die GÜW werden dabei meistens gar nicht angesprochen, denn das Gespräch läuft ja auf der Sachebene und nicht auf der Beziehungsebene. So werden Argumente für die jeweilige Sicht von beiden Seiten abgespult und es wird hoffnungslos versucht die andere Seite mit Argumenten zu überzeugen. Aber mal ehrlich: wer hat mit Argumenten schon einmal seinen Gesprächspartner überzeugen können? Wenn ich Gespräche auf der Sachebene geführt habe, dann gehe ich aus diesen Gesprächen meist unbefriedigt heraus. Ich beschäftige mich nämlich danach meistens mit meinen Argumenten und wie ich sie noch besser gegen die Anfragen des Gegenübers schärfen kann. Doch ist dabei keine Beziehung und kein Verständnis für die andere Seite entstanden. Oft entsteht sogar das ungute Gefühl sich vom anderen noch weiter entfernt zu haben.

Wenn Menschen, deren GÜW sich feindlich gegenüberstehen, weiter zusammenleben wollen oder müssen, dann bleibt ihnen scheinbar nur der Teppich des Schweigens. Über manche Themen kann man nicht reden, weil sonst die Feindschaft sichtbar würde. Nochmals: mit Feindschaft meine ich, dass die GÜW der einen Seite dazu führen können oder müssen, dass die andere Seite erniedrigt, bedrängt oder bedroht wird.

Aber der Teppich des Schweigens löst das Problem nicht auf. Es gärt weiter, bis eine Situation kommen wird, an dem die unterschiedlichen GÜW aufeinanderprallen werden. Dann meist mit einer großen Heftigkeit und wahrscheinlich tiefen Verletzungen.

Darum brauchen wir statt dem Teppich des Schweigens den Mantel der Liebe. Wir brauchen einen Raum der Begegnung der von Liebe geprägt ist. Von einer Liebe, die alles duldet, die alles trägt, die alles hofft und alles glaubt. Die Jahreslosung lautet: alles bei euch geschehe in Liebe. Den Raum der Liebe stellen nicht wir her, er ist Gottes Raum, in dem wir alle leben. Denn in Gottes Welt hat auch der ein Lebensrecht, dessen GÜW ich vollends ablehne (der mir also ein Feind ist).

Ziel dieses Raums ist nicht, dass alles beliebig wird, sondern dass wir lernen, den anderen wirklich auszuhalten und im besten Falle ihn sogar zu verstehen.

Wieso aber die Geschichte von Levi? Ich glaube, dass es viel helfen kann sich erst einmal selbst klar zu werden, wo die Verletzungen liegen, die wir in einer bestimmten Situation erlitten haben. Wenn wir dabei aus kindlicher Sicht schreiben, hilft es uns möglicherweise auch, eigene tiefliegende Glaubenssätze zu finden.

Für ein eventuell später darauffolgendes Gespräch miteinander sind Fragen sehr wichtig – natürlich muss man aufpassen, wie man die Fragen stellt (Suggestivfragen oder rhetorische Fragen haben hier keinen Platz). Es geht ja darum, zu versuchen den anderen zu verstehen.

Ich wünsche uns für das Jahr 2024 den Mut miteinander den Raum der Liebe immer wieder zu betreten. Vielleicht kann es zuerst nur im ganz kleinen Rahmen geschehen („wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“). Aber ich bin mir sicher, wo wir im Mantel der Liebe statt unter dem Teppich des Schweigens miteinander leben, ergeben sich tiefe und haltgebende Beziehungen, die auch in der Krise tragen werden. Und zu alledem erfüllt sich dadurch auch das Gebot Jesu, dass seine Jünger an ihrer Liebe untereinander erkennbar werden. Fremde Menschen werden sicher schnell spüren, ob eine Gruppe von Christen unter dem Teppich des Schweigens oder im Mantel der Liebe lebt.

Lukas Frei

„Der Bruder ist dem Christen eine Last, gerade dem Christen. Dem Heiden wird der Andere gar nicht erst zur Last. Er geht jeder Belastung durch ihn aus dem Wege, der Christ muss die Last des Bruders tragen. Er muss den Bruder erleiden. Nur als Last ist der Andere wirklich Bruder und nicht beherrschtes Objekt.“

                                                         – D. Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, 87.

Wir leben in einer egozentrischen Welt: Immer geht um MEINE Rechte, MEINE Zukunft, MEINE Selbstverwirklichung. Jesus zeigt uns einen ganz anderen Weg. Das erstes Wunder, das er tut: auf einer Hochzeitsfeier verwandelt er Wasser in Wein – und alle könne feiern. Was für ein Zeichen! Jesus lädt ein zu einer Party, die niemals aufhören wird, zu einem Leben in Fülle. Gott nimmt uns hinein in seine große Gemeinschaft und Liebe. Und weil wir überreich beschenkt sind können wir auch großzügig Liebe weitergeben – ohne Erwartungen, ohne Druck. Es geht nicht mehr um mich, sondern darum, anderen Gutes zu tun. Und zwar nicht nur den Menschen, die wir kennen und mögen, sondern auch Unbekannten, die uns unterwegs begegnen. Für solche kleinen Aktionen im Alltag, mit denen man anderen auf kreative Weise Gutes tut, hat sich der Begriff „Random acts of kindness“ etabliert – übersetzt in etwa: „absichtslose Akte der Freundlichkeit“.

Die Idee von den Random Acts of Kindness hat sich weit verbreitet. Wie wäre es, wenn ihr dazu eine Challenge startet mit euren Konfirmanden, in eurer Jugendgruppe, in eurem Jugendgottesdienst? Dabei gibt’s verschiedene Varianten. Entweder ihr fordert euch gegenseitig heraus, anderen Gutes zu tun (zum Beispiel so: alle schreiben Ideen auf einen Zettel, werfen ihn in eine Schüssel und ziehen eine Idee – und bis zum nächsten Mal oder in den nächsten 20 Minuten soll sie umgesetzt werden und ihr tauscht euch über eure Erfahrungen aus). Oder ihr sammelt Geld und „beauftragt“ jemanden. Wir haben das zum Beispiel im Rahmen einer Jugendkonferenz getan. Das Beeindruckende war, dass die Teilnehmenden dafür mal eben 3000 Euro gespendet haben – einfach damit die beiden, die sich der Challenge gestellt haben, damit Leuten in der Innenstadt was Gutes zu tun und es zu „verschwenden“. Das Geld ging an Mamas mit kleinen Kindern, Pflegepersonal im Krankenhaus, wurde in Parkuhren gesteckt und wurde für Eis für Kinder oder Blumen für Menschen im Altenheim ausgegeben. Es hat die Trinkgeld-Kasse beim Frisör gefüllt, Obdachlose überrascht und so weiter. Währenddessen haben die beiden live auf Insta von ihren Random Acts of Kindness berichtet und haben im Anschluss auf der Bühne von ihren Geschichten erzählt. Du kannst die Aktion hier auf YouTube nachschauen. Nicht, um sie eins zu eins zu kopieren – sondern als Inspiration für eure eigenen Ideen vor Ort.

Es braucht aber kein Geld und keine aufwändig angelegte Aktion, um freundlich zu anderen sein – manchmal reicht es schon, anderen ein Kompliment zu machen oder ihnen einfach zu sagen, dass sie schön sind. Wie sehr das Menschen berühren kann zeigt ein wunderschöne Video einer jungen Künstlerin auf YouTube, das du dir hier anschauen kannst.

Übrigens: Wenn du mehr dazu hören willst wie Hochzeitsfeiern, Dreieinigkeit und Großzügigkeit zusammen hängen empfehlen wir die wärmstens diesen Impuls von Mike Pilavaci. Er war zu Gast bei der erwähnten Jugendkonferenz und hat einen eindrücklichen Impuls zum Thema mitgebracht. Ihr könnt ihn hier auf YouTube nachhören und -schauen (0:30-1:19). Unser letzter Tipp ist die Aktion Changemaker. Auch hier geht’s darum, dass man oft schon mit kleinen Schritten einen großen Unterschied bewirken kann. Changemaker hat dabei mehr den Umweltaspekt im Blick – aber auch die Schöpfung freut sich ja über etwas „kindness“ von uns 😉 Klicke hier, wenn du mehr drüber wissen willst.

Themenpaket und Jugendgottesdienstmaterial zur Jahreslosung 2024

Die Jahreslosung 2024 hat es in sich – Paulus schreibt am Ende seines ersten Briefes an die Gemeinde in Korinth: „Alles, was ihr tut geschehe in Liebe“

Ein prägnanter Satz. Oft sind solche Sätze auf Postkarten zu lesen. Im Hintergrund Sonnenuntergänge, Herzen, Hände, alles in Pastelltönen gehalten. Liebe, Freude, Eierkuchen. Doch das nimmt diesem Satz des Apostels Paulus auch die Schärfe. Denn das kleine Wort „alle“ hat in Konsequenz große Bedeutung und Auswirkung. Denn alle Dinge in Liebe zu tun, ist eine Herausforderung. Manchmal auch eine sehr große, die Überwindung kostet und Kraft. Das müsste Paulus doch wissen. Und er mutet das der ohnehin schon zerstrittene, in Konflikten und mit Gefällen lebenden Gemeinde in Korinth zu. Vermutlich gerade deshalb. Er hatte die Menschen dort vor Augen. Schließlich hatte er die Gemeinde ja schon besucht. Paulus kennt also seine Korinther, wie andere ihre Pappenheimer. Und deshalb schreibt er ihnen am Ende seines Briefes, fast beiläufig diesen fordernden Satz. Er ist eingebettet in einen ganzen Katalog von anderen Ermahnungen und Grüßen. Tut dies und jenes aber ganz besonders das: alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.

Und Paulus erinnert damit auch an das was er einige Kapitel zuvor schreibt. Dort, im 13. Kapitel im sogenannten Hohelied der Liebe, beschreibt Paulus die Liebe mit der Gott uns in und durch Jesus Christus liebt. Diese menschenfreundliche Art von Liebe zu leben, ist der Weg und die Aufgabe. Nichts anderes meint auch die Aufforderung aus der Jahreslosung. Und weil Paulus weiß, wie herausfordernd das ist, schreibt er das als Erinnerung an die Menschen in Korinth und uns. Gottes Liebe zu uns ist vollkommen. Unsere Liebe zu ihm und unseren Mitmenschen ist und bleibt unvollkommen, bruchstückhaft und fehlt immer wieder. Aber Gott weiß das und liebt uns trotzdem. Und auch Paulus weiß das und erinnert, ohne an den Pranger zu stellen zu beschämen oder sich zu erheben daran. Bleibt dran an der Liebe. Kommt nicht auf die Idee zu denken, das ist zu schwer dann lass ich’s eben bleiben mit der Liebe. Erinnert euch vielmehr an meine Worte. Denn überlegt auf der anderen Seite, wie die Welt ohne die Liebe wäre. Was wäre, wenn keine Liebe zwischen uns Menschen wäre. Menschen leben von Liebe, von Zuneigung. Was wären wir wenn wir die Liebe nicht hätten? Wie elend wären wir, wenn wir nicht unter Gottes Liebe stünden? Paulus beantwortet das. Er sagt es in Bildern (1. Kor 13). Unser Klang des Lebens wäre dumpf, vielleicht laut, aber kein Wohlklang und der Geschmack des Lebens wäre schal. Weil wir auf Liebe angewiesen sind, für unser Zusammenleben, und für uns selbst, fordert uns Paulus auf, alle Dinge in Liebe geschehen zu lassen.

Wie kann das gehen mit der Liebe im Alltag?

Genau mit dieser Frage beschäftigen sich die unterschiedlichen Entwürfe in dieser Themensammlung. Sie reichen von der Arbeit mit Kindern, jungen und älteren Teenagern bis zu Entwürfen, die auch mit jungen Erwachsenen möglich sind. So deckt dieses Heft wieder eine große Bandbreite der Arbeit mit Kindern Jugendlichen und jungen Erwachsenen ab. Mein Dank geht an die verschiedenen Autorinnen und Autoren, Expertinnen und Experten für die Arbeit, die auf sehr gute Weise verstanden haben, die Jahreslosung mit dem Alltag zu verbinden.

So geht es in der praktisch orientierten Bibelarbeit von Sarah Raisch und Ulrich Enderle, Strategien liebevollen Handelns für den Alltag durchzuspielen. Er richtet sich an zehn bis dreizehnjährige Teenager.

Der Entwurf für eine Gruppenstunde mit Schüler*innen von Sabine Schmalzhaf-Sievers steht unter dem Motto „spread the love“.

Der Entwurf von Kirche Kunterbunt schaut zunächst in einer Reflexion nach innen. Es geht dabei um den Prozess der Bewusstwerdung das Gottes Liebe für uns da ist und gilt. In einem zweiten Schritt geht es darum, wie diese Liebe gelebt und an andere weitergegeben werden kann.

Dieser Spur folgt auch der Entwurf für den Kindergottesdienst von Markus Grapke. Er geht der Frage nach, wie es gelingen kann, der Liebe Gottes, die er uns gegenüber zeigt, im Leben zu entsprechen.

Was das bedeuten kann hören wir auch im Jahreslosungslied von Hans-Joachim Eißler und Gottfried Heinzmann und der Betrachtung von Cornelis Kuttler.

Ein Ausdruck tätiger Liebe im Alltag kann diakonisches Handeln sein. Die Diakonie als Ort gelebter Nächstenliebe nimmt die thematische Einheit von Sylvia Nölke in den Blick. Sie nimmt dabei die Felder und Tätigkeiten von Diakonie wahr und versucht daraus Taten der Liebe im Alltag abzuleiten. Mit dieser Einheit kann mit Jugend- und Konfi-Gruppen zum Themenfeld Diakonie gearbeitet werden und ein Jugendgottesdienst dazu vorbereitet werden..

Eine ganz andere, kreativ künstlerische Auseinandersetzung bietet die Anleitung zu einem Workshop zu Poetry von Manuel Spohn. Er ist Selbst Poetry-Künstler und Jugendpfarrer. Mit seiner Anleitung kann ein kreativer Prozess mit Jugendlichen gestartet und angeleitet werden an dessen Ende eigene Poetry Texte entstehen, die entweder in Auseinandersetzung mit der Jahreslosung stehen oder auch mit ganz anderen Themen.

Unter der Überschrift „Mantel der Liebe statt Teppich des Schweigens“, erzählt Lukas Frey die Geschichte eines Jungen der eine veränderte Situation in seinem Alltag nicht verstehen kann. Die Geschichte kann dahingehend gelesen werden, die Jahreslosung als Chance zu begreifen, Räume der Liebe zu erschließen, Auseinandersetzungen und Konflikte besser in den Mantel der Liebe zu hüllen alles unter der Decke des Schweigens begraben.

In eine ähnliche Richtung, aber mit einem ganz anderen Aspekt geht der kurze und anstoßende Text von Ralf Brennecke. Er setzt sich damit auseinander, das unter dem Motto „alles in Liebe zu tun“ auch Missbrauch geschehen kann.

„Der Wunsch von Paulus an die Gemeinden gilt bis heute. Der Wunsch nach einem liebevollen Miteinander ist groß. Die Realität sieht manches Mal anders aus: Kinder, Jugendliche und Erwachsene werden nicht liebevoll behandelt. Die Liebe zu sich selbst steht dann im Vordergrund. Die eigene Person, die eigene Lust, die eigene Machtposition missbrauchen den Umgang miteinander. Davor verschließen wir die Augen nicht. Deshalb machen sich Menschen in Kirche und Diakonie Gedanken um Schutzkonzepte vor Gewalt. Wir wollen, dass alles, was in Kirche getan wird, aus Liebe geschieht. Der Wunsch nach einem liebevollen Umgang, der die andere Person sieht, kann dadurch Realität bei uns werden.“ (Ralf Brennecke, Leiter der Diakonie Oberschwaben, Allgäu, Bodensee).

Womöglich ist mit diesem Satz, den Paulus an die Gemeinde in Korinth geschrieben hat, in der Geschichte des Christentums auch Missbrauch geschehen. So konnte unter dem Deckmantel dieses Satzes die Liebe, die eigentlich Fürsorge für Schutzbefohlene und Schwächere intendiert, in gewissen Fällen pervertiert werden, und ein ganz und gar nicht liebevoller Umgang wurde kaschiert. So mahnt die Jahreslosung auch, die Liebe zu suchen und ernstzunehmen, die nicht verletzt, klein macht, ausgrenzt oder beschädigt.

Wirklich zu Herzen und ernst genommen fordert diese Jahreslosung heraus. Sie ist nicht billig und keineswegs mit einem kitschigen Postkartenmotiv mit Sonnenuntergang abzuhandeln. Sie hat Konsequenzen für den Alltag und ist nicht nur irgendein Sinnspruch. Das kommt auch in den wunderbaren Motiven von „Designerpfarrer“ David Lehmann zum Ausdruck, die vordergründig und hintergründig in die Alltagswelt (nicht nur von Jugendlichen) hineinsprechen und uns mit dem Satz des Paulus durch das Jahr 2024 und darüber hinaus begleiten.

Ein großer Dank an ihn und an alle Autorinnen und Autoren. Sie haben wieder eine Fülle an Materialien und Entwürfen erarbeitet, wie (alle Beiträge sind verlinkt):

Und zusätzlich haben wir noch weitere Artikel und Bausteine zusammengestellt, die schon auf jo veröffentlicht sind und zur Jahreslosung 2024 passen. Alle verknüpften Einheiten sind unten aufgelistet.

Wir von jugonet wünschen euch eine anregende und bereichernde Lektüre und dann eine gute Umsetzung in der Praxis. Viel Freude und Segen mit all‘ dem! Möge es uns immer wieder und immer mehr gelingen, unsere Dinge in Liebe geschehen zu lassen.

Matthias Rumm,
Landesjugendpfarrer Württemberg und Redaktionsleiter von jugonet

Auf jeden Fall haben wir allen Grund dazu! Das wird in den neuen Angeboten der KON-Redaktion zu den »Ich bin« Worten Jesu deutlich – weil ER für uns alles Lebensnotwendige IST.

Neben hilfreichen Themenartikeln für MitarbeiterInnen gibt es interaktive Bibelarbeiten und kreative Stundenentwürfe für die Gruppe, mit Ideen für die Adventszeit und darüber hinaus – zum Guten Hirten, (offenen) Türen, Weinstock und Reben, Brot und Auferstehung und Leben.

Die Ich-bin-Worte

sind zentrale Aussagen des Johannesevangeliums.

Sie lauten:

Joh 6,35Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.
Joh 8,12Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.
Joh 10,7.9Ich bin die Tür zu den Schafen. Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden und wird ein und aus gehen und Weide finden.
Joh 10,11.14Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.
Joh 11,25Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.
Joh 14,6Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.
Joh 15,1.5Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.

Mit diesen sieben Sätzen versucht der Verfasser des Johannesevangeliums zu erklären, wer Jesus Christus ist und was er für die gläubigen Menschen sein kann.

Aufgebaut sind sie alle sehr ähnlich: Sie beginnen mit der klaren Aussage „Ich bin“, gefolgt von einem (für die damalige Zeit) verständlichen Bild aus dem Alltag der Menschen (Brot, Licht …). Anschließend folgt ein Zusatz, eine Ergänzung oder weiterführende Erklärung des Bildes bzw. der Bedeutung Jesu. So verdeutlichen die Ich-bin-Worte die Heilsbedeutung Jesu.

Vom Verfasser des Johannesevangeliums werden diese Worte Jesus in den Mund gelegt, sie müssen historisch-kritisch betrachtet aber nicht unbedingt von Jesus selbst ausgesprochen worden sein. Ob Jesus diese Aussagen wirklich selbst über sich getätigt hat, lässt sich nicht abschließend beantworten. Es spielt aber auch keine entscheidende Rolle. Viele wichtiger ist, was die Ich-bin-Worte über Jesus und seine Bedeutung für uns Menschen aussagen wollen.

Auffällig ist, dass nie formuliert ist: „Ich bin wie das Brot …“ oder „Ich zeige euch den Weg …“. Die Formulierung ist jedes Mal „Ich bin das Brot/der Weg …“. Jesus ist also nicht nur wie das Brot, das Licht usw., Jesus ist es – in seiner Person selbst. Auf diese Weise gibt sich Jesus im Johannesevangelium als Gott selbst zu erkennen.

Gott hat sich im Ersten Testament zuerst mit einem Ich-bin-Wort vorgestellt: „Ich bin, der ich bin“ (Exodus 3,13f). Diese Art der Selbstoffenbarung greift Jesus im Johannesevangelium auf und betont damit seine besondere Verbindung zu Gott als seinem Sohn. Auf diese Weise macht der Verfasser des Evangeliums deutlich, dass Jesus Christus der Einzige ist, der Gott offenbaren kann und an dem die Menschen sich orientieren sollen.

Die »Ich bin«-Worte für Jugendliche erklärt

Wie könnten wir diese Worte heute in unserer Zeit in eine Sprache und Bilder übersetzen, die unsere Kinder und Jugendlichen gut verstehen?

Die Bilder und Symbole der Ich-bin-Worte sind relativ universell und können sicher auch heute noch gut verstanden werden. Es kann jedoch trotzdem sinnvoll sein, sich mit Kindern und Jugendlichen Gedanken über modernere Ausdrücke zu machen, um die biblischen Worte neu mit Leben zu füllen.

Die hier aufgeführten Vorschläge können vielleicht nicht von allen Menschen komplett verstanden werden und sind sicher manches Mal unzureichend. Aber sie können und sollen Anregungen zu weiteren Gesprächen und Diskussionen über die Ich-bin-Worte und ihre Bedeutung geben.

Hier findest du einige Vorschläge und Anregungen, aber frag gerne die Kinder und Jugendlichen in deiner Gemeinde selbst einmal nach ihren Ideen, welche Begriffe sie in der heutigen Zeit verwenden würden.

Ich bin das Brot des Lebens.

Brot als lebenswichtiges Grundnahrungsmittel, überlebenswichtig! In beiden Testamenten wird von Speisungswundern berichtet: Im ersten Testament ist das Volk Israel auf jahrelanger Flucht und Wanderung durch die Wüste. Damit sein Volk nicht verhungert, lässt Gott Manna (ungesäuertes Brot) vom Himmel fallen. Im zweiten Testament speist Jesus mehrere Tausend Menschen mit nur 5 Broten und 2 Fischen. Eine mögliche Übersetzung für Heute: Ich bin dein Geldautomat.

Ich bin das Licht der Welt.

Licht, das auch durch die Dunkelheit scheint, alles hell erleuchtet und damit Ungewissheit und Angst nehmen kann.
Eine mögliche Übersetzung für Heute: Ich bin dein Smartphone (mit Taschenlampe, Suchmaschine, usw.)

Ich bin die Tür.

Einladend, ich darf hindurch gehen und bin dann in Sicherheit an einem guten, friedlichen Ort. Eine mögliche Übersetzung für Heute: Ich bin dein Zuhause/dein SavePlace.

Ich bin der gute Hirte.

Der gute Hirte kümmert sich um seine Schafe, er versorgt sie mit allem, was sie brauchen, beschützt sie, ist immer da. Eine mögliche Übersetzung für Heute: Ich bin dein bester Freunde/deine beste Freundin.

Ich bin die Auferstehung und das Leben.

Der Wunsch und der Glaube, dass unser Leben nach dem Tod nicht zu Ende ist; dass es nicht sinnlos ist; dass wir unsere Angehörigen noch einmal wiedersehen können. Hier wird es schwer ein konkretes Bild zu finden … Eine mögliche Übersetzung für Heute: Ich bin deine Hoffnung. Vielleicht auch: Ich bin dein Herzschrittmacher.

Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Weg, Wahrheit und Leben als alles, was nötig ist für ein gelingendes Leben. Eine mögliche Übersetzung für Heute: Ich bin dein Google Maps und zeige Dir, wo es lang geht. Oder auch: Ich bin dein Coach/deine Therapeutin und helfe dir immer weiter.

Ich bin der wahre Weinstock.

In Israel damals ein bekanntes, häufiges Bild: Gott als der Weinbauer und das Volk Israel/die Juden als Weinberg Gottes bzw. hier als die Reben am Weinstock Jesu. Jesus ist in diesem Bild als Weinstock also als eine Art „Verbindung“ zwischen Gott und den Menschen. Eine mögliche Übersetzung für Heute: Ich bin Smartphone/Telefon. Oder auch: Ich bin das Internet, das alle Menschen miteinander verbindet und Kontakt überall hin ermöglicht.

Der Begriff der Willkommenskultur beschäftigt sich eigentlich in erster Linie mit der Frage, auf welche Art und Weise Menschen mit Migrationsbiografie in der Gesellschaft auf- und wahrgenommen werden. Wikipedia beleuchtet drei Aspekte. Dabei geht es um

  1. die positive Einstellung von Gemeinschaft, Bürgern und Institutionen gegenüber den Migrant*innen zu verdeutlichen
  2. den Wunsch, das Migrant*innen sich immer in den Kontakten zu anderen willkommen fühlen
  3. die getroffenen Maßnahmen, die ganz praktisch für eine „erlebbare Willkommenskultur“ umgesetzt werden

In einer Zeit, in der in Deutschland neben Menschen aus den bisher bekannten Krisen- und Kriegsgebieten wie z. B. Syrien, Afghanistan oder Ländern des afrikanischen Kontinents auch zunehmend Menschen aus der Ukraine Asyl suchen und immer mehr Menschen illegal nach Deutschland kommen, in einer Zeit, in der die rechtspopulistischen und -radikalen Stimmen in Deutschland immer lauter werden und deren Vertreter bei den Wahlen immer besser abschneiden, scheint ein Riss durch diese Willkommenskultur zu gehen.

Böse und zugespitzt könnte ich schreiben, dass auf der einen Seite immer noch die Menschen stehen, die nach wie vor gerne und fröhlich auf andere Menschen zugehen und sich dafür einsetzen, dass Migrant*innen hier in Deutschland gut ankommen und eine neue Heimat finden können. Auf der anderen Seite gibt es die Menschen, die hinter allem „Fremden“ etwas Feindliches wittern, die sich abschotten und den Märchen des Faschismus in unserem Land blind Gehör schenken.

Klar, damit mache ich es mir total einfach. Ich weiß, dass es nicht nur „schwarz“ und „weiß“ gibt, sondern auch noch „50 shades of grey“ mit allem, was wir zwischen den beiden extremen Außenpositionen wahrnehmen können und dass die Frage nach der heutigen Willkommenskultur keine einfache Antwort findet.

Doch ich weiß noch etwas anderes: dass wir in unserer kirchlichen „Bubble“ tatsächlich ein Problem mit der Willkommenskultur haben – und zwar ganz losgelöst von der Frage danach, wie wir uns in den Diskussionen rund um die Herausforderungen der deutschen Asyl- und Migrationspolitik positionieren.

Es geht mehr um die Grundsatzfrage, wie wir mit Menschen umgehen, die bei uns auf einmal neu am Horizont auftauchen: in unseren Gottesdiensten, in unseren Gruppen, bei unseren Veranstaltungen – und zwar unabhängig von einer möglichen Migrationsbiografie. Was haben wir in diesem Kontext für eine Willkommenskultur?

Rückblende I:

Gemeinsam mit einigen Jugendlichen meiner damaligen Gemeinde bin ich auf Städtetour in Dresden. Um dabei „über den Tellerrand“ zu gucken, besuchen wir einen Gottesdienst einer lokalen freien Gemeinde. In diesem Fall war es die ICF, die dort erst seit kurzem dabei war, eine Gemeinde aufzubauen.

Gleich nachdem wir angekommen waren, wurden wir von Leuten der Crew wahrgenommen und angesprochen: wer wir denn wären, was wir so machen würden und auch, wie toll es sei, uns im Gottesdienst dabei zu haben. Über diese persönliche Begrüßung hinaus gab es für uns einiges zu entdecken: eine kleine Kaffee-Bar, wo man sich noch ein Heißgetränk besorgen und mit anderen ins Gespräch kommen konnte, eine Möglichkeit, Gebetsanliegen zu notieren, damit die Gemeinde im Gottesdienst für konkrete Dinge beten konnte, ein kleiner Stand mit Büchern und anderen Dingen, die man sich kaufen konnte und noch so einiges mehr – und alles in einem ziemlichen hippen und schicken Style eingerichtet.

Im Laufe des Gottesdienstes gab es dann noch eine ganz besondere Überraschung, als die Gebetsanliegen der Gemeinde vorgelesen wurden: Da hatte jemand uns im Blick und bat darum, dass Gott unsere Gemeinschaft segnen möge und wir viel Spaß in Dresden haben würden. Unsere Jugendlichen waren ganz begeistert – so etwas konnte man bei uns in der Gemeinde ja nicht erleben.

Rückblende II:

Ein anderes Jahr, ein anderes Ziel unserer Städtetour. Dieses Mal sind wir in Hamburg, und wieder besuchen wir einen Gottesdienst einer freien Gemeinde. Wir sind zu Gast in der Elim-Kirche in Hamburg. Anderes Setting, aber viele Parallelen: Wir werden wieder wahrgenommen und fröhlich angesprochen – und zwar nicht nur als Gruppe beim Betreten der Veranstaltungsräume, sondern auch in einzelnen Situationen, z. B. von den Nachbarn in der Stuhlreihe oder beim Getränkestand. Auch hier herrscht eine große Fröhlich- und Lebendigkeit, wird moderne Lobpreis-Musik gespielt und erleben die Jugendlichen eine ganz andere Stimmung, als normalerweise sonntags in der eigenen Gemeinde herrscht. Wir fühlen uns willkommen.

Rückblende III:

Wieder ein anderes Jahr, dieses Mal bin ich allein unterwegs. Allein besuche ich den Gottesdienst meiner „neuen“ Gemeinde, in der ich nach meinem Umzug an die Nordsee gelandet bin. Es ist eine „klassische“ evangelische Gemeinde der Landeskirche, vieles kommt mir bekannt vor und ich kann mich im Gottesdienst schon etwas heimisch fühlen. Und danach? Wird, typisch ostfriesisch, Tee angeboten. Ich bleibe stehen, greife zu … und bleibe allein stehen. Niemand, der mich anspricht, keiner, der auf das unbekannte Gesicht in der Runde zugeht und das Gespräch sucht. Tatsächlich macht sich bei mir etwas Enttäuschung breit, denn ich hätte mich schon sehr über einen ersten Kontakt gefreut.

Natürlich ist mir klar, dass sich aus diesen drei Begebenheiten keine Gesetzmäßigkeit ablesen lässt – vor allem möchte ich damit nicht behaupten, dass es „typische Kennzeichen“ von freien bzw. landeskirchlichen Gemeinden sind. Aber ich weiß jetzt sehr genau, wie es sich anfühlt, irgendwo fremd zu sein und nicht „dazuzugehören“. Und seitdem achte ich noch genauer darauf, wie ich mit Menschen umgehe, die neu in meiner Umgebung auftauchen und auf welche Weise sie von der Gruppe wahrgenommen und integriert werden, mit der ich unterwegs bin.

Und so stelle ich mir aufgrund meiner persönlichen Erfahrung doch einige Fragen. Die eine oder andere Frage ist als Impuls für deine eigene Arbeit vor Ort – unabhängig davon, ob es sich bei den „neuen Leuten“ in der Gruppe um Geflüchtete, Menschen mit Migrationsbiografie oder einfach nur um Zugezogene aus dem Nachbarort oder einem anderen Bundesland handelt – vielleicht ganz gut geeignet.

Impulsfragen

  1. Versteht mein Gegenüber meine Sprache?
    Nicht nur die Frage nach der Muttersprache ist hiermit gemeint, sondern auch die nach so ganz „eigenen Formulierungen«, einem besonderen Dialekt, ungewohnten Insidern… Sprache entscheidet ganz viel darüber, ob ich mich irgendwo wohl fühlen und ankommen kann.
  2. Kennt mein Gegenüber den Ablauf?
    Nicht selten unterscheiden sich die Gottesdienst-Formen der Landeskirchen (oder auch der Gemeinden im gleichen Kirchenkreis) etwas voneinander. Darum: wie kann ich versuchen, den Ablauf eines Gottesdienstes, einer Gruppe oder Veranstaltung deutlich zu machen, ohne den ganzen Prozess zu unterbrechen?
  3. Wie nehme ich mein Gegenüber wahr und wie beziehe ich neue Leute in mein Handeln ein? Biete ich z.B. eine Vorstellungsrunde an, erzähle ich von der Gruppe, erkläre ich mich und mein Handeln, verrate ich „Insider«, bitte ich mein Gegenüber darum, eigene Erfahrungen beizusteuern.
  4. Bin ich bereit, meine bisherigen „Traditionen, Rituale und Glaubenssätze“ zu verändern, um neue Menschen in meine bestehende Arbeit zu integrieren?

Die hier zusammenstellten Fragen erheben nicht den Anspruch, vollständig zu sein oder weitgehend genug. Aber ich denke, sie zeigen den Weg auf, den wir beschreiten sollten, um wirklich für alle Menschen offen sein zu können und eine ernsthafte Willkommenskultur zu leben, die tragfähig ist und von Herzen kommt.

Wenn wir als Kirche, als CVJM, als EC o.a. auch weiterhin zukunftsfähig bleiben, relevant für unsere Mitglieder sein und gerne auch andere Menschen für unsere Arbeit und Jesus gewinnen wollen, müssen wir uns auf den Weg machen sowie Antworten und Raum anbieten für alle, die auf der Suche sind:

  • Die auf der Suche sind nach Gottesdienst- und Gemeinde-Formen, die modern sind, ohne den Schatz der Traditionen aufzugeben.
  • Die auf der Suche sind nach einem SafeSpace, in dem queeres Leben, Lieben und Glauben seinen Platz finden kann.
  • Die auf der Suche sind nach jemandem, der/die ihre Sorgen ernst nimmt, mehr zu bieten hat als Floskeln und stattdessen Nächstenliebe tatsächlich lebt und in verschiedenen not-wendenden Diensten Gestalt gibt.

Auf diese Weise werden wir zu Gemeinden, zu Kreisen und zu Gruppen, die das Evangelium ernst nehmen – und die „alte biblische Worte“ in neues Handeln übersetzen. Auf diese Weise nehmen wir die ernst, die zu uns kommen – und werden selber ernst genommen.

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