Bitte „Antworten“ klicken – Was das Gottesdienstfeiern ausmacht

Der Gottesdienst hat viel mehr mit Begriffen wie „Fest“ und „Feiern“ zu tun – als mit „Machen, Mitarbeiten, Lernen“ oder gar „Sonntagsschule“. Dieser Artikel führt anhand der Schöpfungs- und Exodus-Geschichte aus, wie wir unser Gottesdienstfeiern neu verstehen können: als eine heilsame Atempause von aller Alltags-Hetze. 

Ich gehe selten in den Gottesdienst. Als Pfarrerin?! Ja, als Pfarrerin. Hätte ich einen anderen Beruf, würde ich möglicherweise noch seltener gehen. Nun darf ich hier etwas zum Thema Gottesdienst schreiben, das passt ja prima…  

Das Beste kommt zum Schluss

Ich schlage vor, wir beginnen am Anfang – ganz am Anfang: „Am Anfang erschuf Gott den Himmel und die Erde“ (1. Mose 1,1), heißt es da. Und dann nimmt das Ganze seinen Lauf: Jeden Tag kommt etwas Neues dazu. Mit jedem neuen Tag wird es heller, bunter und lebhafter. Bis Gott schließlich beim letzten Teil seines großen Projekts „Schöpfung“ ankommt. Manche nennen diesen letzten Teil „die Krone der Schöpfung“, quasi das Highlight, denn das Beste kommt ja bekanntlich zum Schluss. Diese Krone der Schöpfung ist der Mensch, sagen manche. Das halte ich für Quatsch; vielmehr: das kann sogar gefährlich sein, wenn der Mensch meint, er ist hier der King und kann tun und lassen, wie es ihm eben so passt. 

Was Gott nämlich als allerletztes erschafft, ist nicht der Mensch, sondern der 7. Tag. Von diesem siebten Tag erzählt die Bibel: „Am siebten Tag vollendete Gott seine Werke, die er gemacht hatte. An diesem Tag ruhte er aus von all seiner Arbeit, die er getan hatte. Gott segnete den siebten Tag und nannte ihn heilig.“ (1. Mose 2,2-3) Gott erschafft die Ruhe! Die gehört genauso zur Schöpfung wie die Wolken am Himmel und die Blumen auf der Wiese. Erst mit diesem Ruhetag ist das große Projekt abgeschlossen – und kein bisschen vorher. 

Ägypten ist überall

Ich blättere in meiner Bibel einige Seiten weiter. Mittlerweile arbeitet das Volk Israel als Sklaven unter dem mächtigen Pharao. Jeden Tag aufs Neue in der prallen Hitze schuften. Wer trödelt, wird mit Peitschenhieben angetrieben. Immer schneller, immer weiter, immer höher! Wehe, du zeigst Schwäche! Wehe, du ruhst dich aus! Wehe über deine Lippen kommt ein Laut! 

Die Sklaven schreien jeden Tag zu ihrem Gott: „Hol‘ uns hier raus!“ Und er schickt ihnen Mose. Damit beginnt die abenteuerliche Geschichte um die Befreiung aus Ägypten. In der Wüste angekommen, beginnt für die Sklaven von einst ein völlig neues Leben. Bisher hatte ihnen der Pharao und seine Sklaventreiber befohlen, was sie tun und lassen sollen. Da gab es klare Regeln und Gesetze. In der Wüste war da kein Pharao mehr, der ihnen Vorschriften macht. Aus den Sklaven sind freie Menschen geworden. Das bedeutet aber, dass sie sich ab jetzt selbst überlegen müssen, wie sie gemeinsam leben wollen. Was macht man mit dieser geschenkten Freiheit?

In diese große Frage hinein gibt Gott seinem Volk die Zehn Gebote – die Säulen für ein Leben in Freiheit. Gleich zu Beginn ein großer Satz: „Ich bin der HERR, dein Gott! Ich habe dich aus dem Land Ägypten herausgeführt – aus dem Leben in der Sklaverei.“ (2. Mose 20,2) Ich verstehe das so:  Gott ist nicht der Pharao, Gott ist kein Sklaventreiber – einer, für den entscheidend ist, was ich leisten und vorweisen kann: Meine Noten und mein Gehaltsscheck, die Marke meines Smartphones und die Menge meiner Schuhe.

Gott ist der, der mich befreit von all den Stimmen und Meinungen, die nur auf das Können starren: In der Schule zählen deine Noten, später dein Abschluss, irgendwann die Stellung in der Firma und wieviel du verdienst. Auf Instagram die Menge deiner Freunde, Fotos und Erlebnisse. Lauter Dinge, die wie ein Sklaventreiber ganz schnell das Kommando übernehmen können: „Was? Du bekommst für dein neues Profilbild keine 100 Likes? Du bist ja auch absolut nichts Besonderes und schön schon gleich gar nicht.“ „Schau dir die Muskelbilder deiner Kumpels an, das sind echte Kerle!“ – Wehe, du schneidest schlecht ab… Ägypten ist überall.

Der 7. Tag: „meiiin Schatzzz!“

Mitten in den Zehn Geboten taucht nun der 7. Tag wieder auf: „Du sollst den Ruhetag einhalten! Er soll ein heiliger Tag sein! Sechs Tage in der Woche kannst du arbeiten und all deine Tätigkeiten verrichten. Der siebte Tag aber ist ein Ruhetag. Er gehört dem HERRN, deinem Gott. An diesem Tag darfst du keine Arbeit tun. Denn in sechs Tagen hat der HERR den Himmel, die Erde und das Meer gemacht – mit allem, was dort lebt. Aber am siebten Tag ruhte er. Deswegen hat der HERR den Ruhetag gesegnet und ihn zu einem heiligen Tag gemacht.“ (2. Mose 20, 8-11) 

Der 7. Tag ist ein heiliger, ein ganz anderer Tag. Ein Tag, an dem es nicht um Leistung und Likes geht, um Noten und Statussymbole. Er schreit vielmehr den ganzen Stimmen ein lautes „Stopp!“ entgegen: „So nicht, ihr Sklaventreiber!“ Der Ruhetag will Gottes Stimme laut werden lassen. Eine Stimme, die stark genug ist, es mit den ganzen Sklaventreibern aufzunehmen. Gott arbeitet nicht mit einem Notensystem oder mit Likes, für ihn ist jeder und jede etwas wert, einfach, weil er/sie ist. Punkt. Keine Diskussion, kein „Ich weiß nicht so recht…“ Weil dieser Gott weiß, wie mächtig die ganzen Sklaventreiberstimmen und -systeme sein können, erschafft er als Höhepunkt seiner Schöpfung den Ruhetag. Ein Geschenk an dich und mich. Eine Erinnerung an den Gott, der der größte Freiheitskämpfer der Geschichte ist. Halte diesen Ruhetag frei und halte ihn heilig, also nimm ihn wichtig. Lass ihn dir von nichts und niemandem nehmen! Beschütze und bewahre ihn wie einen Schatz, denn genau das ist er. 

Bitte „Antworten“ klicken

Und was ist jetzt genau mit dem Gottesdienst? Ich würde sagen: Gottesdienst ist eine Antwort. Nämlich die Antwort des Menschen auf seinen Gott. Auf den Gott, der einem den 7. Tag schenkt. Ich gehe noch einmal zurück zu Mose und der großen Befreiungsgeschichte aus Ägypten. Nachdem die Israeliten am Schilfmeer mit eigenen Augen sehen, wie mächtig ihr Gott ist und dass er zu seinem Versprechen steht, fängt Mirjam an, zu singen und zu tanzen (2. Mose 15, 20-21).  

Das ist Gottesdienst: eine Antwort auf Gott und das, was er tut. Das kann ganz unterschiedlich aussehen: Die einen tanzen und klatschen, viele singen und beten, alle hören zusammen auf die starke Stimme Gottes aus den alten Geschichten.  Aus diesen Wurzeln entstand das, was wir heute „Gottesdienst“ nennen: Viele verabreden sich, miteinander das wiederzuentdecken, was Gott durch die Bibel sagen will. Der Herzschlag ist überall derselbe: dass Er der große Befreier ist und z.B. Noten und Likes nicht das letzte Wort haben über dich und mich. 

Nachdem mir das wieder klargeworden ist, will ich wieder öfter auf „Antworten“ klicken.

„Free at last! Free at last! Thank God Almighty, I’m free at last!“ („Endlich frei! Endlich frei! Dank sei Gott dem Allmächtigen, ich bin endlich frei!“)
Diese Worte zieren das Grabmal eines Träumers, der am Abend des 4. April 1968 in Memphis, Tennessee umgebracht wurde: Martin Luther King. Der Träumer starb vor über 50 Jahren – doch sein Traum lebt weiter! 
Martin Luther King, ein Christ, ein Revolutionär, ein Träumer, ein Befreier, ein Prophet?  Es lohnt sich, über diese faszinierende, beeindruckende Person der Christenheit nachzudenken. Eine Andacht mit vier Symbolen.

Es gibt nur wenige Gestalten der Christenheit, die so nachhaltig in unsere Zeit hineingewirkt haben wie Martin Luther King. Und wie aktuell das Problem von Ausgrenzung und Rassentrennung ist, zeigt die aktuelle Situation in unserer Gesellschaft. Die Diskussion um Flüchtlinge, Fremde, Islam u.a. macht deutlich, wie Angst den Zugang unter Menschen lähmt oder gar verhindert.

Darum ist es gut, wenn man sich mit dem Leben Martin Luther Kings beschäftigt. Vielleicht habt ihr es auch schon im Schulunterricht von ihm gehört – nichtsdestotrotz kann eine persönliche Auseinandersetzung nur hilfreich sein und den eigenen Glauben stärken. 

Symbolorientierte Annäherung

Wir nähern uns Martin Luther Kings Leben und das Anliegen mit 4 Symbolen (als „Bodenbild“ schon die ganze Zeit sichtbar gewesen):

1. Aufstehen (Gegenstand Busticket)  
Eine Welt stand auf, als Rosa Parks sitzen blieb: Die Befreiungsbewegung unter Martin Luther King wurde von einer mutigen Frau ausgelöst. Rosa Parks, eine engagierte Freiheitskämpferin setzte sich 1955 in die vordere Reihe eines Linienbusses. Das war in den 50er Jahren aufgrund der Rassengesetze strikt verboten. Schwarze durften nur im hinteren Bus-Teil Platz nehmen. Doch Rosa Parks widersetzte sich dem Rassengesetz – und landete im Gefängnis. Martin Luther King hörte von dem Vorfall und rief wenig später zum „Busboykott“ auf, der über 1 Jahr anhielt. Am Ende war es den Schwarzen nach entbehrungsreichem Streik erlaubt, auch in den vorderen Reihen eines Linienbusses zu sitzen. Im Internet findet ihr unter dem Stichwort „Rosa Parks“ weitere interessante Hintergründe!

2. „Extremist der Liebe“ (Gegenstand Zeitung und Toilettenpapier)
Bei einem Protestmarsch in Birmingham wurde King am 12. April 1963 inhaftiert. Sein gewaltloser Kampf gegen die Unterdrückung der Schwarzen sorgte mittlerweile in ganz Amerika für Aufruhr und durch die ersten Fernsehgeräte nahm die westliche Welt Notiz von den dramatischen Ereignissen. Weiße Pfarrer reagierten auf die Proteste und schalten King als Extremisten.
Daraufhin verfasste King einen Brief an 8 weiße Geistliche. Da es kein Papier in der Gefängniszelle gab, schrieb er seine Zeilen auf Zeitungsränder und Toilettenpapier. Hier ein Auszug aus dem berühmtgewordenen Brief: „Sie haben unsere Tätigkeit in Birmingham als »extrem« bezeichnet… War nicht Jesus ein Extremist der Liebe, als er forderte: »Liebe deine Feinde; segne die, so euch fluchen; erweise Gutes denen, die dich missachten und verfolgen«? War nicht Amos ein Extremist der Gerechtigkeit, als er ausrief: »Lasset die Gerechtigkeit fließen wie die Gewässer und lasset unser Tun münden in den ewigen Strom der Gerechtigkeit«? War Paulus nicht ein Extremist für das Evangelium Christi, als er ausrief: »Auf meinem Körper trage ich die Zeichen unseres Herrn Jesus«? War nicht Martin Luther ein Extremist, als er erklärte: »Hier stehe – ich kann nicht anders, Gott helfe mir«? – Ich bin ein Extremist der Liebe.“

Der Brief wurde aus dem Gefängnis geschmuggelt und nach wenigen Tagen kursierten fast eine Million Exemplare des Briefes in den USA.

3. „I have a dream“ (Gegenstand kleine Feder oder Seifenblasen)
Träume, so leicht wie eine Feder, so zerbrechlich wie eine Seifenblase? Träume sind keine Schäume, sondern eine Vorwegnahme des Künftigen. Die Rede Martin Luther Kings ist weltberühmt und hat wie keine andere Ansprache die Welt aufgerüttelt. Lasst uns seinen Traum „I have a dream“ hören (zumindest ausschnittsweise vorlesen. Den ganzen Wortlaut von „I have a dream“ findet ihr im Internet).

Ist dieser Traum Wirklichkeit geworden? Vielleicht zum Teil. Doch gilt es weiter, für diesen Traum von Gerechtigkeit zu arbeiten und zu beten – auch in unserem Land, wo Menschen ausgegrenzt und diskriminiert werden.

4. Prophetische Intuition (Gegenstand Fernglas)
Mit einem Fernglas schaut man in die Ferne. Martin Luther King gleicht einem solchen Menschen, als er während des Müllarbeiterstreiks zu den Menschen sprach. Es sollte seine allerletzte Rede sein, die er in Memphis am 3. April 1968 in der Mason Temple Church hielt… In der Vorahnung seines Todes sprach er folgende Worte: „Schwierige Tage liegen vor uns. Aber das macht mir wirklich nichts aus. Denn ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen. Ich mach mir keine Sorgen. Wie jeder andere würde ich gern lange leben. Langlebigkeit hat ihren Wert. Aber darum bin ich jetzt nicht besorgt. Ich möchte nur Gottes Willen tun. Er hat mir erlaubt, auf den Berg zu steigen. Und ich habe hinübergesehen. Ich habe das gelobte Land gesehen. Vielleicht gelange ich nicht mit euch dorthin. Aber ihr sollt heute Abend wissen, dass wir als ein Volk, in das Gelobte Land gelangen werden. Und deshalb bin ich glücklich heute Abend. Ich mache mir keine Sorgen wegen irgendetwas. Ich fürchte niemanden. Meine Augen haben die Herrlichkeit des kommenden Herrn gesehen.“ 

Am nächsten Tag, den 4. April 1968, fielen die tödlichen Schüsse auf Martin Luther King. Der Träumer starb – sein Traum lebt weiter. 

Lassen wir uns inspirieren und wagen es, uns als Christen in der Schule und im privaten Umfeld für Gerechtigkeit einzusetzen? Frage doch, wo gibt es junge Menschen, die deine Hilfe brauchen, die auf dein ermutigendes Wort warten! Der Ausgrenzung und dem Rassismus heute ist die Liebe Jesu entgegenzusetzen. 

Herausforderung für heute

Martin Luther King fordert uns heraus mit seinem Zeugnis und diesen Worten: 

Wenn du nicht fliegen kannst, dann laufe, 
wenn du nicht laufen kannst, dann geh‘,
wenn du nicht gehen kannst, dann krieche, 
aber was immer du tust, bewege dich vorwärts.

Martin Luther King

Lass dich ein auf den edlen Kampf für die Gleichheitsrechte:
Du wirst eine größere Person aus dir machen,
eine größere Nation aus deinem Land
und eine bessere Welt, darin zu leben.

Martin Luther King

Finsternis kann niemals die Finsternis vertreiben:
Nur Licht vermag dies.
Hass kann nicht Hass vertreiben.
Nur die Liebe vermag es.

Martin Luther King

Weitere Tipps

-> Eine ausführliche Biographie von Martin-Luther King findet ihr im Internet bei Wikipedia: Hier gibt eine kurze und aktuelle Zusammenfassung seines Lebens und Wirkens bis heute. 

-> Auch die Biografie aus dem RoRoRo-Reihe „Martin Luther King“ von Gerd Presler ist interessant zu lesen und in jedem Buchhandel für 10,- € erhältlich. 

-> Vielleicht finden sich in den Mediatheken noch Fernsehsendungen, die im April zum 50-jährigen Gedenken an Martin Luther Kings Ermordung ausgestrahlt wurden? Schaut sie euch an. Es lohnt sich.

-> Zum Start in die Andacht könnte auch der Videoclip „Glory“ (aus dem Film „Selma“) gekürzt eingespielt werden: hier auf YT (nur bis 1:46 zu zeigen)
-> Einen ganzen Gottesdienst anhand MLK „I have a dream“ mit Transfer ins Heute samt einer ppt mit 2 Videos findest du ebf. hier auf jugonet. 

Unser Alltag kennt Entscheidungen: ganz banale, aber dann auch gewichtige. Wie kann ich dabei der Stimme Gottes Gehör schenken und seinen Weg mit mir entdecken? 
Dieser Artikel spült den Blick klar, um mit Gott unterwegs zu bleiben.

Maria & Marta

Es sind viele Gäste gekommen. Marta hat ein weites Herz. Sie freut sich, wenn das Leben brummt. Das Beste aus Keller und Küche soll auf den Tisch. Darüber muss sie nicht nachdenken. Sie weiß, was sie will und was ihre Rolle ist. Mitten zwischen brodelnden Töpfen fällt ihr dann plötzlich ein, dass sie ihre Schwester, schon länger als gedacht, nicht mehr aus der Stube hat kommen sehen. Sie braucht sie, damit alles pünktlich fertig wird. Minute um Minute vergeht. Marta wird etwas lauter mit ihren Töpfen. Es tut sich nichts. Irgendwann wird es Marta zu bunt. Sie platzt in die Runde, sieht Maria zu Jesu Füßen sitzen und wird augenblicklich etwas lauter: „Meister, interessiert es dich nicht, dass Maria mich allein schuften lässt. Eine kleine Mahnung wäre sehr hilfreich.“
Das Gespräch ist schlagartig verstummt. Alle starren auf Jesus: Wie wird er reagieren? „Marta, ich sehe, du rackerst dich ab! Im Augenblick ist etwas anderes dran. Maria hat sich für das entschieden, was ihr Herz berührt und sie frei macht. Das lass‘ ihr!“ Maria hat sich entschieden. Offensichtlich haben die Worte Jesu so ihr Herz berührt, dass sie nicht anders konnte, als ihm zuzuhören. 

Entscheidungen – allgegenwärtig

Entscheidungen zu treffen ist keine Kleinigkeit, gerade dann, wenn uns viele Optionen offen stehen, wenn wir unsicher sind, was aus einer Entscheidung wird, wenn uns die Klarheit fehlt, wohin uns eine Entscheidung führen wird, wenn wir uns anderen Dingen verpflichtet fühlen.
Aber Entscheidungen gehören auch zum Tagesgeschäft: Stehe ich auf oder bleibe ich liegen? Ziehe ich diese Bluse oder jene Hose an? Trinke ich heute Kaffee oder Tee? Welche Arbeit erledige ich zuerst – was kann warten? Dann geht es weiter: Hat die alte Karre ihren Geist aufgegeben, stehe ich vor der Frage, welches Modell leiste ich mir? Steigende Aktienkurse bedeutet: lassen oder kündigen? Dann sind da noch die Entscheidungen bezüglich des Berufes, eines Stellenwechsels, die Entscheidung für eine Partnerin, einen Partner, den Kauf eines Hauses, der besten Absicherung für das Alter…. Entscheidungen ohne Ende. 

Die Frage ist dann: Wie treffe ich die richtige, die gute, die zukunftsweisende Entscheidung? Je nach Anlass und Folgenabschätzung sieht das anders aus. Als Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu kommt dann noch diese Dimension dazu: Was will Gott? Welches ist der richtige Weg? Was sollen wir tun und was lassen? Es liegt nicht immer eindeutig auf der Hand, was jetzt gut und richtig und heilvoll ist. Die vielen Stimmen in unserem Inneren machen wir bewusst, dass jedes Ja viele Neins bedeutet. Und keine Entscheidung zu treffen, ist auch keine Lösung.

Geistliche Anhaltspunkte für Entscheidungsprozesse

In seinem kleinen Buch „Sich entscheiden“ (s. unten) beschreibt Stefan Kiechle, Provinzial der Deutschen Jesuiten, Faktoren, die unsere Entscheidungen beeinflussen.

Eine Frage des Typs
Bin ich eher ein Kopf- oder eine Gefühlsmensch, ist es das Herz oder der Bauch, der mein Wesen bestimmt? Bin ich eher rasch unterwegs oder gehöre ich zur Abteilung der Zauderer? Jede dieser Seiten hat ihre gleichberechtigte wichtige Bedeutung (gerade in Gremien und Teams, die gemeinsam Entscheidungen treffen müssen). Um zu einer Entscheidung zu kommen, muss aber irgendwann über die Befindlichkeiten hinausgedacht und entschieden werden, welche Aspekt wirklich relevant sind und welche nicht. 

Die innere Freiheit
In Entscheidungsprozessen spielen unsere Prägungen mit. Von welchen inneren Antreibern, Befürchtungen und Unsicherheiten lasse ich mich bestimmen? Wem fühle ich mich verpflichtet? Wer sitzt mit am Tisch meiner inneren Beratungen. Im Prozess der Entscheidung gilt es, diese Stimmen zu identifizieren und dann abzuwägen, welcher Stimme ich mehr Gehör schenke und wie ich diese mit den anderen Stimmen wiederum vermittle. 

Wahlmöglichkeiten bedenken
In den meisten Entscheidungen liegen Spielräume. Diese Alternativen ausführlich bedenken und ihren jeweiligen Wirkungen bzw. Konsequenzen nachzuspüren, kann schon einmal helfen, manche Möglichkeiten auszuschließen. Dann dem nachzugehen, welche Entscheidung zu den Grundhaltungen meiner Gottesbeziehung passen. Was führt zu mehr Glauben, Hoffen und Lieben? In welche Abhängigkeiten würde ich mich begeben, die mir vielleicht gut tun würden – oder auch nicht. 

Auf Jesus schauen
In der Beziehung zu Jesus Christus bekommt unser Leben Klarheit und Tiefgang. Wenn wir in Entscheidungssituationen den Texten nachspüren, die von seinem Leben, Reden und Handeln erzählen, können überraschende Impulse unser Nachdenken beflügeln. Das Nachdenken über sein Erbarmen, seine Treue, seine Wahrhaftigkeit, seinen Mut, seine Großherzigkeit, seine Liebe kann mir Einsichten ermöglichen, die helfen, zu eigener innerer Klarheit zu kommen: was ich will und was ich nicht will. 

Was schenkt mir ein Mehr an Frieden?
Paulus schreibt an die Gemeinde in Kolossä: „Der Friede Gottes regiere in euren Herzen.“ (Kolosser 3,15).Im Nachdenken über diese oder jene Entscheidung gehe ich der Frage nach: Wann erahne ich eine Spur von mehr innerem Frieden? Bei welchen Gedanken werde ich unruhiger? Entscheidungen sind immer Verstandes- und Herzensangelegenheiten. So kann man den Verstandes- und den Herzensargumenten nachspüren. Welcher Alternative ist die erfüllendere? Wo bin ich mehr ich selbst? 

Das Gebet und weitere Methoden des Entscheidens

Das Wort Methode kommt von griechisch meta hodon – „gemäß des Weges“. Die „Methode“ des Glaubens und der Theologie ist das Gebet. 

Beten
Ohne Gebet, ohne diese innige Beziehung zum dreieinigen Gott, bleibt unser Glaube auf der Strecke. Still werden und beten, das Reden beenden und zuhören, in stillen Zeiten Gott erzählen, was mein Herz bewegt – dieses Zwiegespräch ist ein Schutz gegen lähmende Stimmungen in unklaren Situationen. Ich bleibe nicht bei mir selber. Ich wende mich dem zu, mit dem ich direkt, lebendig, streitend, fragend und klagend reden kann. 

In der Krise keine Entscheidung treffen
„Warte, bis es dir besser geht, dann erst triff deine Entscheidung!“, rät Ignatius in seinem Geistlichen Übungsbuch. Wenn es dir schlecht geht, fehlt dir der Blick für Alternativen. Du hast dich vergraben. Deshalb warte, bis sich dein Inneres wieder etwas sortiert hat und du wieder einen klaren Kopf hast. 

Wo es geht: Zeitdruck vermeiden
Entscheidungen unter Druck sind nicht immer glücklich. Man hat keinen Freiraum, dass sich Entscheidungen entwickeln können. Das alte Sprichwort vom „Darüber schlafen“ gilt hier. Wenn ich mir die Zeit nehme, Gedanken sacken zu lassen und neuen Gedanken Raum zu geben, dann besteht die Chance, dass sich plötzlich noch etwas auftut, was ich bisher nicht bedacht habe. 

Mit anderen reden
„Öffne deine Ideen dem kritischen Blick deiner Freunde. Suche den Rat kluger geistlicher Menschen!“, so Stefan Kiechle. In diesen Gesprächen können neue Aspekte auftauchen und das bisher gedachte formuliert und so klarer wahrgenommen werden. 

Sei mutig und geh‘ entschieden los
Wenn Du den Eindruck hast, dass aus jetziger Sicht alle Faktoren bedacht sind, dann triff die Entscheidung und geh‘ mutig Deinen Weg. 

-> Buchempfehlung:
Stefan Kiechle: Sich entscheiden – Ignatianische Impulse. Echter Verlag GmbH, Würzburg, 2004


-> hier zu bestellen

Da die gesamte Arbeit zu lang ist, um sie ganz als Beitragstext einzufügen, findet man hier nur einen Ausschnitt der Bachelor-Thesis. Die gesamte Arbeit, sowie weitere Materialien, findet man im Anhang.

findet man im Anhang.

Abstract:

Die vorliegende Arbeit betrachtet sexualisierte Einflüsse der Gesellschaft (Werbung, Social Media, Pornografie, Film und Fernsehen) und sucht einen Weg, wie in der christlichen Jugendarbeit ein Rahmen geschaffen werden kann, in welchem Sexualität kein Tabuthema ist. Hierfür wurde eine konzeptionelle Überlegung verfasst, in welcher sowohl Mitarbeitende als auch Teilnehmende Input zum Thema Sexualisierung als auch Sexualität erhalten. Die Vorgehensweise belief sich im ersten Teil auf eine Literaturarbeit und im zweiten auf eine Ausarbeitung zu einem Konzept in Kooperation mit dem CVJM Bayern e.V..

Zugehörige Materialien wurden ebenfalls erstellt und sind im Anhang einzusehen.

Einleitung:

„Eine Filmkultur, die künstlerische Freiheit predigt, zugleich aber zu kontrollieren versucht, wie Frauen auf der Leinwand dargestellt werden, muss man in Frage stellen. Die MPAA findet Szenen in Ordnung, die Frauen in sexuell gewalttätigen Szenarien als Unterhaltungszweck zeigt. Auf der anderen Seite versuchen sie uns zu zwingen, bei Szenen wegzuschauen, in denen Frauen in sexueller Hinsicht beteiligt sind. Es ist frauenfeindlich, kontrollieren zu wollen, wie Frauen sich selbst sexuell präsentieren. Das ist ein größeres Problem als dieser Film.“ [so äußerte sich] Ryan Gosling zu Kritik über die Oralverkehr Szene mit Michelle Williams in „Blue Valentine“. (Braun, 2018)

Sexualität wird nicht nur in der Filmbranche, wie oben durch Ryan Gosling geschildert, kritisiert, sondern findet in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Platz. Vor allem findet die Sexualität von Frauen im Verborgenen statt, wohingegen die männliche Sexualität in allen Bereichen des täglichen Lebens Platz findet. Gerade für Kinder und Jugendliche hat das Aufwachsen in einer zunehmend sexualisierten Welt Folgen. Frühreife Jungen und Mädchen, die immer früher erwachsen zu sein scheinen, bedürfen unserer Aufmerksamkeit und Unterstützung, um zu mündigen, selbstständigen, selbstbewussten und vor allem selbstbestimmten jungen Menschen heranwachsen zu können. Jugendliche vor sexualisierten Einflüssen zu schützen, ist wohl kaum möglich in einer digitalisierten Welt wie der unseren, aber Wege zu zeigen, wie Heranwachsende trotz der Einflüsse selbstbestimmt handeln, eigene Meinungen bilden und kritisch hinterfragen lernen, ist unsere Aufgabe, mit der sich beschäftigt werden soll.

Die folgende Arbeit gliedert sich in fünf Hauptteile. Im ersten Teil, dem einführenden Teil, findet sich der Anlass der Arbeit als auch die Relevanz für die Soziale Arbeit. Darauf folgt
der zweite Teil, der theoretische Teil in welchem die Entstehung der Sexualität betrachtet wird und Sexualisierung dargestellt wird. Bereits vorhandene Überlegungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen bilden den dritten Hauptteil, worauf im vierten Teil die Institutionelle Vorstellung von Landeskirche und CVJM folgen. Der letzte Punkt, die konzeptionelle Ausarbeitung, gliedert sich in zwei Thementage. Abgeschlossen wird die Arbeit mit einem Fazit. Im Anhang werden Materialen bereitgestellt, die zur Durchführung der Thementage relevant sind.

Einführender Teil:

  • Anlass der Arbeit:

Diese Arbeit ist aus einer Herzensangelegenheit heraus entstanden. Im CVJM Bayern e.V. gibt es schon länger Überlegungen, inwiefern Jugendliche dazu bewegt werden können, selbstbestimmt und selbstbewusst Sexualität zu leben. Gerade unter den Eindrücken von Social Media und Werbung fiel vermehrt auf, wie sich das Selbstbild junger Menschen verändert. Nach der Ausarbeitung eines Konzepts zur Prävention sexueller Gewalt kam der Gedanke auf, die beste Prävention dafür ist es, Jugendlichen andere Wege zu zeigen: Jugendliche sollen sexuelle Bildung erhalten. Wenn Jugendliche einen gesunden Umgang mit Sexualität erlernen, wird damit auch sexualisierte Gewalt vorgebeugt.

Das hier vorliegende Konzept entspricht wohl nur entfernt dem gängigen Schutzkonzept und wirkt trotzdem als solches. Prävention ist der beste Schutz, denn die Gefahr an sich wird schon vor Eintreten bewusst wahrgenommen und so gut wie möglich verhindert.

  • Bedeutung für die Soziale Arbeit:

Die Relevanz der Thematik für die Profession der Sozialen Arbeit ergibt sich aus zwei unterschiedlichen Gesichtspunkten. Zum einem aus dem Schutzauftrag der Jugendarbeit und zum anderen aus dem Bildungsauftrag. Die Aufgabe des Schutzes lässt sich aus SGB VIII ableiten. Die Jugendarbeit muss es leisten, Kinder und Jugendliche bestmöglich zu schützen. Der Auftrag der Bildung betrifft nicht nur schulische Bereiche. Auch sexuelle Bildung ist Teil des Auftrages. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Aufklärung und sollten sie auch erhalten können. Die Soziale Arbeit muss dies leisten können, doch es fehlt an Konzepten, weswegen die vorliegende Arbeit einen ersten Anstoß in diesem Bereich geben soll.

[…]

Konzeptionelle Überlegung:

  • Einführender Teil:

Wir leben in einer Zeit, in der es nicht zu viel nackte Haut geben kann, in der Body Positivity zwar großgeschrieben, aber trotzdem wenig gelebt wird. An jeder Ecke begegnen uns Bilder von unrealistischen Gesichtern, bearbeiteten Körpern und sexuellen Darstellungen. Bilder, die uns nicht nur beeinflussen, sondern auch unser Bild von Sexualität und Schönheit prägen. Wir als CVJM sehen hier den Bedarf, Klartext mit Jugendlichen zu sprechen. Was sagt die Bibel zu Sex? Wo sind meine Grenzen? Wie gehe ich mit Sexualität um? Wir wollen für diese Fragen einen Raum schaffen, in dem offen und ehrlich gesprochen werden darf. Ein Ort, an dem Meinungen gebildet werden und Ansichten diskutiert werden können.

Geschichtlich gesehen wurde Sexualität, gerade in christlichen Kreisen, nahezu immer als negativ, als Sünde abgeschrieben. Darüber zu sprechen war undenkbar. In einer Welt, in der Sexualität in jedem Bereich thematisiert wird, sollten wir, als Anbieter der Jugendarbeit, offen sein und uns positionieren. Für uns ist es von Bedeutung, Jugendliche in ihrer Entwicklung zu begleiten und bestmöglich zu unterstützen, weswegen uns auch dieses Thema am Herzen liegt.

  • Biblisch-Theoretische Grundlage:

Sexualität und die Bibel, ein Vergleich, der nur selten gezogen wird, dabei spricht die Bibel mehrfach und sehr deutlich von Sex und dies nicht im negativen Sinne, wie es oft gedacht wird. Im Folgenden sollen deshalb einige Bibelstellen näher betrachtet werden. Dies soll allerdings keine feste Meinung vertreten, viel mehr eine Anregung sein, um eine eigene, fundierte Meinung bilden zu können.

„Wer sich über die unterschiedlichen Ausdrucksformen von Sexualität und die damit verbundenen Potenziale und Konflikte ein reflektiertes Urteil bilden will, benötigt Orientierung, konkreter: Wissen darüber, woran und wie man sich orientieren kann. Eine evangelische Ethik, die sich im Auftrag vor Gott und den Menschen gerufen sieht, verantwortliche Urteilsbildung zu begleiten, orientiert sich an der Bibel, an den Bekenntnistraditionen und nicht zuletzt auch an den Erkenntnissen anderer Wissenschaften.“ (Dabrock, Augstein, Helfferich, Cornelia, Schardien, Stefanie & Sielert, 2015, S. 17)

So lesen wir bereits am Anfang des Alten Testaments, in 1. Mose 1, 28: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde“. Ein Auftrag Gottes, der wohl kaum missverstanden werden kann. Sexualität hat aber noch einen anderen Fokus als die Fortpflanzung an sich. „Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch“ (1. Mose 2, 24) Zwei Menschen werden zu einem. Wir verlassen unsere Herkunft und schaffen etwas Neues, indem wir mit dem Partner/der Partnerin eins werden, eine Einheit bilden. Die Bibel spricht hier von der Bindung zwischen zwei Menschen und wie diese wächst, indem sie miteinander intim geworden sind. Eine einzigartige Verbindung, die wertvoll ist, so eine hohe Bedeutung hat, dass eine einzigartige Symbiose entsteht. Gerade durch diese Einzigartigkeit ist sie besonders schützenswert und sollte in einem verantwortungsvollen Rahmen stattfinden. Ziel sollte es für Verantwortliche der Jugendarbeit also sein, Jugendlichen zu zeigen, dass Sexualität nichts Schlechtes ist, viel mehr das Schönste, was erlebt werden kann. Es ist hierbei
aber von hoher Bedeutung zu erwähnen, dass Intimität in einem festen Rahmen beheimatet sein sollte und auf gegenseitigem Einverständnis beruhen muss. Der würdevolle Umgang mit seinem Gegenüber sollte hierbei an erster Stelle stehen. Die Bibel sagt dazu: „Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«“ (Matthäus 22, 39). Der würdevolle Umgang zählt in allen Bereichen des Lebens, als oberstes Gut, auch auf sexueller Ebene. Des Weiteren lesen wir in 2. Mose 22, 15 – 16: „Wenn jemand eine Jungfrau beredet, die noch nicht verlobt ist, und schläft bei ihr, so soll er den Brautpreis für sie geben und sie zur Frau nehmen. Weigert sich aber ihr Vater, sie ihm zu geben, so soll er Geld darwägen, soviel einer Jungfrau als Brautpreis gebührt.“ Der Kontext der Stelle ist, dass im damaligen Zeitalter eine nicht mehr jungfräuliche Braut keine Chance auf einen Bräutigam hatte, was zur Folge hatte, dass die Familie der Frau sich ihr Leben lang um sie kümmern musste. Diese Stelle ist wohl die meistzitierte Stelle im Kontext der Diskussionen um die Thematik „Sex vor der Ehe“. Im Übertragenen Sinne meint diese jedoch nur: „Wer Sex hat, muss auch Verantwortung dafür übernehmen“.

  • Relevanz der Thematik

Gerade für die Arbeit mit Jugendlichen ist es eine Herzensangelegenheit des CVJM Bayern e.V., die ihnen anvertrauten Menschen zu schützen, weswegen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dahingehend sensibilisiert und informiert werden sollen.

Die zunehmende Sexualisierung der Gesellschaft führt dazu, dass Kinder als auch Jugendliche immer früher mit Sexualität in Berührung kommen. Bei den meisten gezeigten Inhalten handelt es sich um ein verzehrtes Bild von Sexualität, nicht um die Realität. Für Jugendliche ist es von Bedeutung ein realitätsnahes und gesundes Bild von Sexualität zu erfahren, weswegen ihnen zu einer selbstbestimmten Sicht zur Thematik verholfen werden soll. Daher ist es die Aufgabe der Jugendverbandsarbeit, den Jugendlichen zu helfen, ihren eigenen Standpunkt im Bezug der Thematik zu finden und sie dahingehend zu unterstützen, dass sie zu selbstbestimmten, selbstbewussten Erwachsenen heranwachsen.

Ein weiterer Punkt ist die Prävention sexualisierter Gewalt. Indem Jugendliche einen gesunden Umgang zu Sexualität erlernen, wird Übergriffen vorgebeugt, je weniger zum Täter / zur Täterin werden, desto weniger Vergehen gibt es. Im Juli 2019 wurde die zweite Auflage „Richtlinien für den Umgang mit sexueller Gewalt“ im CVJM Bayern veröffentlicht. Damit wurde der Grundstein gelegt für eine offene, gewaltfreie und sexuell selbstbestimmte Jugendarbeit, die darauf aus ist, Jugendliche nicht nur zu schützen, sondern sie zu mündigen Mitgliedern dieser Gesellschaft zu erziehen und sie dahingehend zu fördern und zu unterstützen.

Ziel des hier vorliegenden Konzeptes ist zum einen, Mitarbeitende der Jugendarbeit zu schulen und ihnen Problematiken im Bezug der Sexualisierung aufzuzeigen, zum anderen, Teilnehmende zu unterstützen eigene Standpunkte zu finden und ihnen Anreize wie auch Räume zu bieten, über Sexualität zu sprechen um ihre eigene Meinung als auch ihr Handeln fundiert begründen zu können. Dieser Rahmen soll in Form eines Thementages Grundstein schaffen für weitere Gespräche und einen offenen, ehrlichen und aufrichtigen Umgang mit Sexualität in den Gemeinden. Er soll Mitarbeitenden ein Fundament geben, dass an Jugendliche weitergegeben werden kann, um diese in Fragen zu unterstützen. Das Tabuthema Sexualität soll sich in ein alltagstaugliches Gespräch entwickeln, ohne Scham aber mit würdevollem Umgang.

[…]

Evaluation:

Ziel des Konzepts ist es zum einen, Mitarbeitende der Jugendarbeit zu schulen und ihnen Problematiken im Bezug der Sexualisierung aufzuzeigen, zum anderen, Teilnehmende zu unterstützen, eigene Standpunkte zu finden und ihnen Anreize wie auch Räume zu bieten, über Sexualität zu sprechen, um ihre eigene Meinung fundiert begründen zu können. Überprüfbar sind die Ziele an folgenden Indikatoren:

  • Mitarbeitende wissen, was Sexualisierung ist, in welchen Bereichen sie geschieht und erkennen sie als solche
  • Teilnehmende haben entwickeln fundierte Meinungen / Standpunkte, die sie begründen können
  • Teilnehmende kenne ihre Grenzen und überschreiten keine Grenzen von anderen
  • Teilnehmenden wird ein Rahmen geboten, sich frei zu äußern, Gespräche finden statt
  • Sexualisierte Gewalt findet durch Teilnehmende nicht statt

Fazit und Ausblick:

„Wir sind Schöpfer unserer Realität. Dies bedeutet nicht, dass wir uns ständig kritisieren sollten, wenn unsere Realität noch nicht unseren Vorstellungen entspricht. Sondern
nur, dass wir die volle Verantwortung dafür übernehmen, ohne einen Schuldigen zu suchen.“ – Manfred P. Zinkgraff (*1961)

Abschließend ist zu sagen, dass Sexualität mehr Gehör in unserer Gesellschaft finden muss, es braucht Räume für Gespräch und Diskussion, Orte an welchen hinterfragt werden darf, Menschen, die sich Zeit für Jugendliche nehmen und offen mit ihnen sprechen. Um diese Räume zu schaffen, wurde hiermit ein Grundstein geschaffen, welchen es umzusetzen gilt. Gerade in der Phase der Jugend ist Sexualität eines der wichtigsten Themen und muss deshalb auch Gegenstand in der (christlichen) Jugendarbeit sein.

Verantwortung übernehmen für das eigenen Handeln, Realität selbst gestalten, Selbstbestimmtes Leben, dies könnten einige Aufgaben des Erwachsenwerdens sein. Diese
Aufgaben zu unterstützen, das ist die Berufung der Jugendarbeit und als diese gilt es, sich der Lebenswelt der teilnehmenden Jugendlichen anzupassen und Teil zu werden.


Engel

Ich beginne die Arbeit an diesem Artikel am 29. Dezember. Daher starte ich mit den Engeln. Engel waren in den letzten Wochen ständig präsent. Plüschige, kitschige, ästhetische, aus Holz, aus Ton, gemalt, in allen Größen und Formen. Nach dem Gottesdienst am Heiligabend erhielt jeder Gast einen Engel zum Selberbasteln. Die Engel gehören zur Advents- und Weihnachtszeit wie Spekulatius und der Tannenbaum. Das ist auch angemessen, ist es doch ein Engel, der Maria (im Lukasevangelium) bzw. Josef (im Matthäusevangelium) die Geburt Jesu ankündigt, und die Menge der himmlischen Heerschaaren sind es, die den Hirten die frohe Botschaft von der Geburt des Königs in Bethlehem verkündigen.

Im Alten Testament kommen Engel seltener vor, als man meinen könnte. Als Serafen sieht sie Jesaja über dem Altar im Tempel (Jes 6,2.6). Als Cheruben bewachen sie nach dem Sündenfall den Zugang zum Paradies (1. Mose 3,24). Sonst kommen die Cheruben in erster Linie als goldene Schmuckelemente im Zusammenhang mit der Bundeslade vor (2. Mose 25,18 u. a.). Sie symbolisieren vermutlich die Macht und Größe des Gottes, der selbst nicht dargestellt werden kann und darf. Da die Bundeslade auch als Ort angesehen wird, über dem Gott erscheint, wird sie auch als Thron Gottes bezeichnet. Daher heißt es von Gott, dass er über den Cheruben thront (1. Sam 4,4 u.a.). Diese goldenen Cheruben werden mit zwei Flügeln gestaltet. Bei Jesaja 6 haben die Serafen sechs Flügel, wie auch die vier Gestalten in Offenbarung 4. Die vier Gestalten in Hesekiel 1, die vermutlich identisch sind mit den Cherubim in Hesekiel 10, haben dagegen vier Flügel. Wenn sonst im AT oder im NT von einem oder mehreren Engeln die Rede ist, werden Flügel nicht erwähnt!

Dass unsere Engeldarstellungen i. d. R. zwei Flügel aufweisen, dürfte entweder in Anlehnung an die Cherubendarstellungen an der Bundeslade gestaltet sein, oder schlicht von der Beobachtung herrühren, dass Geschöpfe, die fliegen können, ganz überwiegend zwei Flügel haben.

Unser Wort Engel kommt aus dem Griechischen. Im Hebräischen bezeichnet der Begriff mal’ak zunächst ganz schlicht „Bote“. Rund die Hälfte aller Vorkommen dieses Wortes bezeichnen keine Boten Gottes, sondern politische oder militärische Boten. Dann steht in unseren Bibelausgaben auch jeweils „Bote“. Wenn deutlich ist, dass es sich um einen Boten Gottes handelt, übersetzen unsere Bibelausgaben mit „Engel“, wohl um deutlich zu machen, dass es sich nicht um einen menschlichen Boten handelt, sondern dass in diesem „Boten“ die himmlische Wirklichkeit in die Nähe des Menschen kommt. 

Eine häufig wiederkehrende Wendung im AT lautet: „der Engel des Herrn“ oder auch (seltener) „der Engel Gottes“. Während „der Engel des Herrn“ immer im Singular genannt wird, finden sich beim „Engel Gottes“ in der Bibel viermal Pluralformen.

In der apokalyptischen Literatur der Bibel (Daniel, Offenbarung) findet sich der sog. „Deuteengel“, der dem Empfänger die Visionen oder Auditionen entschlüsselt.  

Eine Engellehre findet sich in der Bibel nicht. Im AT entsteht eher der Eindruck, dass der oder die Engel eine Nähe Gottes oder seiner Botschaft veranschaulichen, die zum Schöpfer des Himmels und der Erden anders nicht mehr ausgesagt werden konnte. Während Gott (in sehr menschlichen Bildern) in alten Texten der Bibel z. B. herunterkommt, um Adam und Eva zu suchen (1. Mose 3) oder um nachzuschauen, ob es in Babel (1. Mose 11,8) oder in Sodom und Gomorra (1. Mose 18,20-22) wirklich so schlimm aussieht, wie er gehört hat, wird diese Unmittelbarkeit zu Gott in späteren Texten nicht mehr ausgedrückt. Der Gott, der die Welt geschaffen hat, den der Himmel und aller Himmel Himmel nicht fassen können (1. Kön 8,27), der tritt zu seinen menschlichen Mitarbeitern durch sein Wort in Kontakt und zu seinem Volk durch die Verkündigung seiner menschlichen Boten. Überwiegend heißt es bei den Propheten z. B.: „Und das Wort des Herrn geschah zu …“ Das „Wie“ dieses Geschehens bleibt offen. Nur gelegentlich heißt es: Ein Bote / Engel des Herrn erschien, z. B. dem Elia.

Einen Namen hat ein Engel im AT nur in Daniel 8,10f (Gabriel) und in Daniel 10,13 (Michael).

Von einer Verehrung der Engel ist im AT nirgends die Rede.

Im NT begegnen die Engel vor allem in den Weihnachtserzählungen und bei der Auferstehung. Eine Verehrung von Engeln ist auch hier nicht vorgesehen. Kolosser 2,18 warnt geradezu davor, Engel zu verehren!

Lediglich ein Abschnitt des NT beschäftigt sich ausführlicher mit den Engeln, nämlich Hebräer 1+2. Nachdem der Brief in den ersten drei Versen benannt hat, dass Gott in unüberbietbarer Weise durch Jesus redet, betont er ab Vers 4, dass Jesus „viel höher geworden ist als die Engel“. Ab Vers 5 werden messianische Zitate des AT verschiedenen Engelaussagen gegenübergestellt, um zu unterstreichen: Jesus ist wichtiger als alle Engel zusammen. Zwar geht Jesus in die Niedrigkeit (Hebr 2,7), das soll die Leserinnen und Leser des Briefes aber nicht dazu verleiten, die (vermeintlich stärkeren) Engel für wichtiger zu halten als Jesus Christus. Gerade in seiner Niedrigkeit hat er den Sieg und das Heil für uns erworben. Mit meinen Worten ausgedrückt lautet die Botschaft: „Kümmere Dich nicht um Engel, die sind letztlich unwichtig! Kümmere Dich lieber um Jesus, der ist relevant!“

Offenkundig sieht der Hebräerbrief seine Gemeinde in der Gefahr, den leidenden Jesus gegen machtvolle Engel eintauschen zu wollen. Das ist ein Fehlweg! Vielleicht kann man sogar insgesamt sagen, dass Engellehren in der Geschichte der Kirche mehr zur Verwirrung und zum Sektierertum beigetragen haben, als dass sie geholfen hätten. Hinter die Warnung von Hebräer 1+2 sollten wir nicht zurückgehen.

Im Übrigen ist auch die nicht nur von Versicherungen genutzte Vorstellung eines Schutzengels letztlich irreführend. Es heißt zwar in Psalm 34,8: „Der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn fürchten, und hilft ihnen heraus.“ Dabei ist das „ihn“ auf den Herrn und nicht auf den Engel bezogen. Und sehr bekannt ist auch Psalm 91,11f: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ Diese Textstelle nutzt bekanntlich der Teufel, um Jesus zu versuchen (Mt 4,6). Die breit belegte Grundüberzeugung der Bibel aber lautet: Für den Segen und das Behüten ist Gott zuständig, wie es uns der aaronitische Segen zuspricht (4. Mose 6,24-26). Außerdem gilt: „Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“ (Ps 121,2). Wenn wir Schutz, Bewahrung und Heil erfahren, dann letztlich immer durch den dreieinen Gott!

Dämonen

Während die Engel im Grunde ein schönes Thema sind, sind die Dämonen ein vielleicht verängstigendes oder verstörendes Thema. In der Bibel ist z. B. von Besessenheit die Rede, von Dämonen, die von Menschen Besitz ergreifen.

Ein Lösungsversuch geht davon aus, dass belastende Krankheitsphänomene (Epilepsie, Schizophrenie usw.), die man in biblischer Zeit nicht „erklären“ konnte, mit einer menschenfeindlichen Macht (Dämonen) in Verbindung gebracht wurden.

Gut möglich, dass es so war, aber natürlich nicht beweisbar. Wer auch immer diesen Gedanken aufnehmen möchte, der hüte sich bitte davor, heute Krankheit – egal welcher Art – mit vermeintlichen dämonischen Kräften in Verbindung zu bringen. Das wird weder den Patientinnen und Patienten, noch der jeweiligen Erkrankung gerecht.

Wenn wir weiter schauen, dann fällt auf, dass über gottfeindliche Mächte im Neuen Testament nicht sehr oft geschrieben wird. Markant ist Epheser 6,12: „Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, mit den Herren der Welt, die über diese Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.“

Es gibt in diesem Zusammenhang zwei Probleme und eine Lösung!

Das erste Problem: Mehr wissen wir nicht. Diese „Mächte“ oder „bösen Geister“ werden weder erklärt, noch in irgendeiner Form hergeleitet oder begründet.

Das zweite Problem: Menschen, die sich in diese Thematik hineinbegeben, versinken oftmals darin. Wir haben in der Theologie keine „Dämonologie“! Wir haben aber eine Christologie (Lehre von Christus), eine Soteriologie (Lehre vom Heil), eine Pneumatologie (Lehre vom Heiligen Geist), eine Ekklesiologie (Lehre von der Kirche), eine Eschatologie (Lehre vom Wiederkommen Jesu und von der Ewigkeit). Wer jetzt eigenmächtig sich diesem undefinierten Negativfeld zuwendet, der kann nur spekulieren und versinkt letztlich in diesem selbst gegrabenen Loch. Es ist auch bei diesem Thema sinnvoll, nicht auf den Schrecken, sondern auf die Lösung zu schauen.

Daher jetzt die Lösung: Epheser 6,10-20 handelt von der Waffenrüstung Gottes: umgürtet mit Wahrheit, gepanzert mit Gerechtigkeit (die immer geschenkt ist!), bereit, loszugehen für das Evangelium des Friedens, mit dem Schild des Glaubens und dem Helm des Heils und dem Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.

Mit meinen Worten: Wir sollten nicht wie das Kaninchen auf die Schlange auf sogenannte böse Mächte starren, sondern als von Jesus begnadete und geliebte Menschen ihm dienen und nachfolgen, dann ist das „Problem“ der Dämonen schon gelöst.

Paulus schreibt in Römer 8,38f: „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel (!) noch Mächte (!) noch Gewalten (!), weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes (!) noch Tiefes (!) noch irgendeine andere Kreatur (!) uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“

Dazu sage ich Amen!

[Die Ausrufezeichen stammen übrigens nicht von Paulus.]

Martin Luther hat über den Teufel gedichtet: 

Der Fürst dieser Welt, wie saur er sich stellt,
tut er uns doch nicht(s); das macht, er ist gericht‘:
ein Wörtlein kann ihn fällen.

Ihr könnt mal überlegen, welches Wörtlein das sein kann.

Schlussbemerkung: In der Offenbarung des Johannes wird viel von Chaos und dem Tier aus dem Abgrund und allen möglichen Horrorszenarien berichtet. Das wäre ein Thema für sich. Eines ist wichtig: Wer der Sieger ist, das wird schon vor dem Chaos in Kapitel 5,5 gesagt.

„Siehe, es hat gesiegt der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids.“

Und dann wird beschrieben, dass da ein Lamm steht, wie geschlachtet!
Also keine Angst, wer auf der Seite des Siegers steht, hat nichts zu befürchten.

02: Theologische Grundlage

Warum engagiert sich der CVJM beim Thema Radikalisierungsprävention?
Mit der Gründung des CVJM 1844 in London gehört es zum Selbstverständnis der Jugendbewegung, sich aus dem Glauben an Jesus Christus heraus für die Gesellschaft zu engagieren. 1855 wurde in der sogenannten Pariser Basis die bis heute gültige Grundlage beschlossen:

„Die Christlichen Vereine Junger Menschen haben den Zweck, solche jungen Menschen miteinander zu verbinden, welche Jesus Christus nach der Heiligen Schrift als ihren Gott und Heiland anerkennen, in ihrem Glauben und Leben seine Jünger sein und gemeinsam danach trachten wollen, das Reich ihres Meisters unter jungen Menschen auszubreiten.
Keine an sich noch so wichtigen Meinungsverschiedenheiten über Angelegenheiten, die diesem Zweck fremd sind, sollten die Eintracht geschwisterlicher Beziehungen unter den nationalen Mitgliedsverbänden des Weltbundes stören.“
Von der Pariser Basis ausgehend sind folgende biblisch-theologische Aspekte grundlegend für das Motto: Damit die Gesellschaft zusammenbleibt. Radikalisierung spaltet. CVJM verbindet.

  1. Jesus Christus verbindet – „Er ist unser Friede.“ (Eph 2,14)
    Wenn es heißt, dass der „CVJM verbindet“, dann hat dies seine Wurzel darin, dass „Jesus Christus verbindet.“
    In ihm hat Gott uns durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung seinen Frieden geschenkt. Von daher bekennen wir als CVJM, dass wir nicht aus unserer begrenzten Liebe heraus Menschen verbinden und die Gesellschaft zusammenhalten können, sondern „… uns treibt die Liebe an, die Christus uns erwiesen hat.“
    (2. Kor 5,14)
  2. Jesus Christus tritt dem Hass entgegen – „Liebet eure Feinde …“ (Mt 5,44)
    Wenn es heißt, dass „Radikalisierung spaltet“, dann wissen wir um die unselige Menschheitsgeschichte von Gewalt und Ausgrenzung. Jesus Christus durchbricht diese unendliche Kette des Hasses, wenn er am Kreuz für seine Peiniger betet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34). Seine Bereitschaft zur Vergebung legt die Grundlage dafür, Radikalisierung und Extremismus zu überwinden, indem wir seine Forderung erfüllen: „… und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.“ (Mt 5,44)
  3. Jesus Christus beauftragt uns – „Glücklich sind die, die Frieden stiften“ (Mt 5,9)
    Wenn es heißt „damit die Gesellschaft zusammen bleibt“, dann wissen wir um die Verantwortung, uns als CVJM für ein gutes Miteinander einzubringen. Wir sind herausgefordert, nicht nur selber friedlich mit anderen zusammenzuleben, sondern uns aktiv für den Frieden in unserer Gesellschaft stark zu machen. Damit greifen wir das Gebet Jesu auf: „Auf dass sie alle eins seien.“
    Joh 17,21, YMCA Weltbundlosung)

Welche biblischen Leitsätze sind für unsere Überzeugungen maßgebend?

  1. Gott hat alle Menschen gleichermaßen zu
    seinem Ebenbild geschaffen und ihnen
    dadurch eine unantastbare Würde verliehen.1
  2. Wir sind als Geschöpfe Gottes ausnahmslos alle auf Gemeinschaft angelegt und angewiesen.2
  3. In der Nachfolge dient uns Jesus Christus als Vorbild, der gerade mit den damals Ausgegrenzten die Gemeinschaft suchte.3
  4. Die Gottesliebe – verstanden sowohl als Gottes Liebe zu uns als auch als unsere Liebe zu ihm – führt
    unweigerlich zur Nächstenliebe, welche nach biblischem Verständnis auch alle Fremden ausdrücklich einschließt. 4
  5. Radikales Denken und Handeln sind meist von Angst geleitet. Unser Glaube nimmt diese Ängste ernst und befähigt zu einem konstruktiven Umgang mit ihnen. 5
  6. Vielfalt und Verschiedenheit sind in unseren Augen keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung. 6
  7. Der christliche Glaube unterstreicht den hohen Wert eines guten menschlichen Miteinanders.7
  8. Jesus fordert uns nicht nur auf, mit anderen Menschen friedlich zusammenzuleben, sondern darüber hinaus selbst Friedensstifter zu sein.8
  9. Die Versöhnung zwischen Gott und Mensch, die im Zentrum unseres Glaubens steht, hat die Grundlage für solch ein versöhntes menschliches Miteinander bereits gelegt.9
  10. Das künftige Reich Gottes, das frei von aller Gewalt sein wird, hat unter uns schon jetzt seinen Anfang genommen.10

1 Vgl. 1. Mose 1,27: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde,
zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“
2 Vgl. 1. Mose 2,18a: „Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“
3 Vgl. Lk 5,30: „Und die Pharisäer und ihre Schriftgelehrten murrten und sprachen zu seinen Jüngern: Warum esst und trinkt ihr mit den Zöllnern und Sündern?“ und Joh 4,9: „Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du, ein Jude, erbittest etwas zu trinken von mir, einer samaritischen Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern.“
4 Vgl. 3. Mose 19,18 + 33: „Du sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volks. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der HERR. … Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken.“ und 1. Joh 4,21: „Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.“
5 Vgl. Joh 16,33: „Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ und 2.Tim 1,7: „Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“
6 Vgl. Röm 12,4-6a: „Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied. Wir haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.“
7 Vgl. Ps 133,1: „Siehe, wie fein und lieblich ist‘s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!“
8 Vgl. Röm 12,18: „Ist‘s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“ und Mt 5,9: „Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“
9 Vgl. Lk 7,47: „Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.“ und Joh 13,14 „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt.“
10 Vgl. 21,4: „und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“

„echt. Im glauben wachsen“ – Themen für das 3. Quartal 2021 im Paket – bestehend aus einem theologischen Einstieg ins Thema, 6 Bibelarbeiten, einem Video, einem Stundenentwurf, zwei Andachten und zwei weiteren Artikeln

Gott will Freiheit

Manchmal wird Freiheit christlich verdächtigt: Wer frei sein will, löse sich aus der Abhängigkeit von Gott. Selbständigkeit und Autonomie würden dem Glauben widersprechen. Wie aber sieht das die Bibel? Unsere menschliche Sehnsucht nach Freiheit entspricht durchaus Gottes Schöpfungswille: Nach 1. Mose 1 und 2 erlaubt Gott, von allen Bäumen im Garten Eden zu essen, nur von dem einen in der Mitte des Gartens nicht. Gott gibt dem Menschen Freiraum, in dem er sich bewegen kann und soll. Allerdings setzt er ihm auch eine Grenze. Und diese reizt dazu, sie überschreiten zu wollen. Aber indem der Mensch das tut, verspielt er seine ihm gegebene und von Gott zugedachte Freiheit.

Auch als Retter und Befreier hat Gott die Freiheit seiner Geschöpfe zum Ziel! Gottes große Befreiungstat steht am Anfang der Geschichte mit seinem Volk: „Doch die Israeliten stöhnten noch immer unter der Sklavenarbeit und schrien um Hilfe. Ihr Geschrei drang bis hinauf zu Gott. Gott hörte ihr Klagen. Da erinnerte er sich an seinen Bund, den er mit Abraham, Isaak und Jakob geschlossen hatte. Gott wandte sich den Israeliten zu und kümmerte sich um sie.“ (2. Mose 2,23ff)

Die Unfreiheit der Israeliten geht Gott zu Herzen. Er befreit durch Mose sein Volk aus der Knechtschaft in Ägypten. Und nach Jahrzehnten des Weges durch die Wüste kommt Israel dann in das von Gott versprochene und sehr gute Land, wo Milch und Honig fließen. Was für eine Freude! Die Freude der Freiheit lässt einen singen: Israel nimmt diese grundlegende Befreiung voller Dankbarkeit auf und lobt über Jahrhunderte hinweg die Güte und Liebe Gottes, wie sie sich in dieser Befreiung erwiesen hat: „Als wir am Boden lagen, dachte er an uns. Ja, für immer bleibt seine Güte bestehen. Er befreite uns von unseren Feinden.“ (Ps 136,23f)

Christus befreit

Die Befreiung setzt sich in Jesus fort: Er entlastet Menschen, die unter der Last ihrer Schuld zerbrechen. Er befreit Menschen aus Bindungen unterschiedlichster Art und verbindet sie heilsam mit Gott, mit ihren Mitmenschen und mit sich selbst. Gleich am Anfang seines öffentlichen Wirkens erklärt er programmatisch: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, den Armen gute Nachricht zu verkünden. Den Gefangenen soll ich zurufen, dass sie frei sind, und den Blinden, dass sie sehen werden. Den Unterdrückten soll ich die Freiheit bringen.“ (Lk 4,18)

Eine letzte Vertiefung wird sichtbar, als er zu Juden sprach, die an ihn glaubten und sich als Abrahams Kinder bereits für frei hielten, allerdings ohne es wirklich zu sein: „Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Der Knecht bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig. Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.“ (Joh 8,34ff)

Wenn uns Menschen knechten und unsere Kraft nicht ausreicht, uns selbst zu befreien, dann braucht es andere, die stärker sind als unsere Unterdrücker und uns deshalb befreien können. Bei unserem Gefangensein in der Sünde, liegt die Unfreiheit in uns selbst. Wir können uns nicht selbst befreien aus der Sünde. Daher braucht es einen anderen, Christus, der uns vor Gott und uns selbst freispricht, indem er uns vergibt und uns die Augen öffnet: „… und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh 8,32)

Frei durch Christus im Glauben

Paulus nimmt diese Spur von Jesus her auf: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ Aber realistisch gesehen ist Freiheit immer gefährdet und sie kann schnell verloren werden: „Bleibt also standhaft und unterwerft euch nicht wieder dem Joch der Sklaverei!“ (Gal 5,1)

Freiheit im Verhältnis zu Gott verliert, wer durch das Halten der Gebote Gottes gerettet werden will, auch wenn dies zunächst widersprüchlich erscheint. Paulus bringt es drastisch auf den Punkt: „Ihr habt dann mit Christus nichts mehr zu tun. Jeder, der durch das Gesetz vor Gott als gerecht gelten will, hat damit die Gnade verspielt.“ (Gal 5,4)

Warum ist das so? Niemand schafft es, immer alle Gebote zu halten. Wer seine Beziehung zu Gott auf das gründet, was er selbst zustande bringt, der wird schon in quantitativer Hinsicht scheitern: Er kann nie wissen, ob er ausreichend viele gute Werke getan hat: „Hätte ich gestern nicht noch einen Krankenbesuch machen müssen?“ Aber auch qualitativ bleibt Ungewissheit – ob unsere guten Taten wirklich gut waren, ob sie durchdrungen waren von wahrer Liebe zu Gott und zum Nächsten: „Gestern, als ich den Krankenbesuch gemacht habe, war ich nur mit halbem Herzen da und war viel mehr mit mir selbst als mit dem Kranken beschäftigt.“ Wie sieht mich Gott jetzt?

Auf diese Weise wird letztlich aber vor allem Christus, als der von Gott eröffnete Weg zum Heil, ausgeschlagen. Wer durch das Gesetz vor Gott gerecht werden will, verneint und setzt außer Kraft, dass Gott uns aus Gnade im Glauben an Christus bereits alles geschenkt hat. Allein in und durch Christus sind wir vor Gott wahrhaft befreit: „So wie uns der Zorn Gottes nicht erschrecken kann, denn Christus hat uns davon frei gemacht, können uns Gesetz, Sünde etc. nicht anklagen und verdammen.“ So Luther in seiner Auslegung zu dieser Stelle im Jahre 1531. Er nimmt präzise auf, was christliche Freiheit im Blick auf Gott bedeutet, und schließt daraus konsequenterweise: „Es ist also unmöglich, dass Christus und das Gesetz gleichzeitig im Herzen wohnen. Entweder muss das Gesetz oder Christus weichen.“

Wo Christus durch den Glauben im Herzen wohnt, sind wir auch davon befreit, uns selbst einen Wert vor Gott und anderen Menschen verschaffen zu müssen. Durch Christus sind wir von ihm geliebt und darum immer viel mehr wert, als wir aus uns selbst gemacht haben oder je machen können. Wir müssen uns nicht mehr auf uns selbst reduzieren: als dürften wir nur dann glauben, von ihm geliebt und angenommen zu sein, wenn wir genügend getan haben, fromm genug gewesen sind … Allein im Glauben sind wir wahrhaft frei. Bei der Freiheit des Glaubens geht es um eine Freiheit in und aus der Beziehung zu Christus. Wir haben diese Freiheit nicht aus und auch nicht in uns selbst, sondern allein dadurch, dass wir uns im Glauben an Christus hängen.

Durch Christus befreit zur Liebe

Freiheit wird nach Paulus aber auch noch auf eine andere Weise gefährdet und verloren: „Allein seht zu, dass ihr durch die Freiheit nicht dem Fleisch Raum gebt; sondern durch die Liebe diene einer dem andern.“ (Gal 5,13) „Fleisch“ meint hier nicht einfach unseren Leib, sondern alles, was gottfeindlich und sündhaft ist, sei es im seelischen Begehren, sei es in geistigen Ansprüchen oder auch in sozialen Wirkmächten. Freiheit wird verspielt, wo Sünde das Feld beherrscht. Freiheit bleibt erhalten, wo Gott das Leben eines Christenmenschen prägt.

Nicht aber dort, wo wir Wünschen und Begierden, Befürchtungen und Hoffnungen in uns selbst erliegen – weil wir keinen Abstand zu dem haben, was uns von innen her bewegt und antreibt. Ohne solch einen Abstand zu uns selbst wissen wir nicht, warum wir gerade so und nicht anders leben und handeln. Da sagt etwa eine: „Ich mache das, was ich will. Ich bin frei.“ Sie identifiziert sich unmittelbar mit ihren Wünschen, ohne sich zu fragen: „Warum will ich eigentlich das, was ich will? Warum gebe ich gerade diesem einen Wunsch in mir Raum und nicht einem anderen, den ich gestern gehabt habe, oder einem weiteren, von dessen Verwirklichung ich mir noch vorgestern Glück versprochen habe?“ Wer sich selbst nicht durchsichtiger wird, wer nicht erkennt, aus welchen Gründen er sich für den einen Wunsch und gegen einen anderen entscheidet, der kann doch nicht wirklich für freigehalten werden. Oder? Im Extrem wird das sichtbar, wenn jemand innerlich getrieben ist und gar nicht anders leben kann. Er ist sich selbst ausgeliefert. Süchte unterschiedlichster Art zeugen von solchen inneren Zwängen, denen man wiederholt erliegt. Mit wirklicher Freiheit hat das nicht viel zu tun. Wir reden ja auch dort nicht von Freiheit, wo eine von einer anderen zu einer Handlung gezwungen wird, die sie von sich aus nie tun würde, weil sie ihr schadet. Einem inneren Zwang zu unterliegen aber bedeutet: von innen her fremdgesteuert zu sein, quasi einem fremden Willen in mir selbst gehorchen zu müssen.

Wenn ein Mensch seinen Launen, seiner Unlust, seinem Neid, der unerbittlichen Konkurrenz mit anderen, der Ehrsucht oder auch den unterschiedlichsten Formen von Gier erliegt – etwa um sich Wert zu verschaffen, erliegt er sich selbst. Er hat keinen Abstand zu sich. Gerade diesen aber bräuchte er, um Regungen und Wünsche in sich zu unterscheiden und dann – aus guten Gründen – sich für die Verwirklichung des einen Wunsches gegenüber einem anderen bewusst zu entscheiden. Freiheit hieße hier: Ich gewinne so weit Abstand zu mir selbst, dass ich erkennen kann, welche Kräfte in mir miteinander konkurrieren; ich mache mir Gesichtspunkte und Gründe bewusst, nach denen ich entscheide, das eine zu lassen und das andere zu tun; ich besitze schließlich die Kraft, meine Entscheidung tatsächlich zu leben und lasse mich nicht von anderen Kräften innerhalb oder außerhalb von mir daran hindern.

Freiheit der Liebe

Paulus lässt keinen Zweifel daran, worin christliche Freiheit besteht: „durch die Liebe diene einer dem andern“ (Gal 5,13). Die Liebe soll der oberste Gesichtspunkt sein, von dem her wir unterscheiden: was sich alles in uns regt und was unsere Aufmerksamkeit von außen auf sich zieht. Und sie soll zugleich das wichtigste Motiv sein, das unseren Entscheidungen ihre Richtung gibt. Die Freiheit wird inhaltlich qualifiziert von der Liebe her. Die Liebe gibt die Qualität vor, wie Freiheit wirklich Freiheit bleibt:

· als Fähigkeit, sich selbst um anderer willen zurücknehmen zu können

· als Kraft, bei anderen und bei sich selbst durchzusetzen, was dem Leben dient, auch wenn es einen selbst das Leben kosten kann

· als Bereitschaft, auch auf die Verwirklichung eigener Wünsche um der Gemeinschaft willen verzichten zu können

· als Mut zur Wahrheit, dem anderen auch etwas zuzumuten – nicht, um selbst recht zu behalten, sondern damit lebensförderliche Wahrheit alles regiert …
„Der Geist dagegen bringt als Ertrag: Liebe, Freude und Frieden, Geduld, Güte und Großzügigkeit, Treue, Freundlichkeit und Selbstbeherrschung.“ (Gal 5,22f).

Das innerste Zentrum und die eigentliche Kraft der Freiheit erblickt Paulus im Heiligen Geist, der in den Glaubenden lebt: „Lasst euer Leben vom Geist Gottes bestimmt sein und richtet es danach aus. Dann werdet ihr nicht euren selbstsüchtigen Wünschen nachgeben.“ (Gal 5,16)

Christus wohnt durch den Heiligen Geist in uns und „wo der Geist des Herrn wirkt, da herrscht Freiheit“ (2Kor 3,17). Es geht um eine letzte Entschiedenheit, um die Freiheit, sich radikal und grundsätzlich zu entscheiden: (1) gegen das, was andere und uns selbst um das gute Leben bringt, welches Gott uns zugedacht hat – und dem gegenüber (2) sich entschlossen für das Gute, für Gottes guten Willen zu entscheiden: „Die aber Christus Jesus angehören, die haben ihr Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und Begierden.“ (Gal 5,24) Diese Entschiedenheit lebt vom Vertrauen darauf, dass die Herrschaft Jesu Christi heilsam ist. Christliche Freiheit hat ihren Grund in der Herrschaft des Gottes, der die uns knechtenden Mächte in und um uns entmachtet. Seine Herrschaft befreit uns zur Liebe, seine Macht will unsere Freiheit, die in Liebe und Gerechtigkeit, in Verantwortung und gegenseitigem Dienen wächst und gedeiht.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Um den Erhalt und die Entfaltung dieser Freiheit für andere und für uns selbst und zusammen mit anderen zu ringen, das bleibt zu allen Zeiten und unter allen Umständen wichtig und unverzichtbar, wertvoll und schön.

Hier das Gedicht von Dietrich Bonhoeffer und eine kurze Interpretation von mir:

Stationen auf dem Wege zur Freiheit[1]

Zucht

Ziehst du aus, die Freiheit zu suchen, so lerne vor allem
Zucht der Sinne und deiner Seele, daß die Begierden
und deine Glieder dich nicht bald hierhin, bald dorthin führen.
Keusch sei dein Geist und dein Leib, gänzlich dir selbst unterworfen,
und gehorsam, das Ziel zu suchen, das ihm gesetzt ist.
Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.

Tat

Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen,
nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen,
nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.
Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens
nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen,
und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend umfangen.

Leiden

Wunderbare Verwandlung. Die starken tätigen Hände
sind dir gebunden. Ohnmächtig, einsam siehst du das Ende
deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte
still und getrost in stärkere Hand und gibst dich zufrieden.
Nur einen Augenblick berührtest du selig die Freiheit,
dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.

Tod

Komm nun, höchstes Fest auf dem Wege zur ewigen Freiheit,
Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern
unsers vergänglichen Leibes und unsrer verblendeten Seele,
daß wir endlich erblicken, was hier uns zu sehen mißgönnt ist.
Freiheit, dich suchten wir lange in Zucht und in Tat und in Leiden.
Sterbend erkennen wir nun im Angesicht Gottes dich selbst.

Interpretation

Zucht: Allein durch Selbstbeherrschung wird sich Freiheit im Leben durchsetzen. Wer keinen Abstand zu sich selbst gewinnt und sich nicht selbst überwinden kann, ist und bleibt letztlich unfrei. Etwas zu können, es aber auch lassen zu können, darin besteht das Wesen der Freiheit. Selbstbeherrschung aber will gelernt und eingeübt werden. Askese ist eine Form der Freiheit, so lange sie auf ein positives Ziel ausgerichtet ist und nicht einfach nur Verzicht um des Verzichtes willen ist.

Tat: Wer im Gedanken stecken bleibt, obgleich er alles umsichtig bedacht hat, und nicht zum Tun kommt, verliert die Freiheit, die das Leben wirklich gestaltet und bestimmt. Frei ist, wer sich ganz dem hingibt, was gerade jetzt und gerade hier erforderlich ist. Frei ist, wer der Wirklichkeit den Vorrang vor schönen und großartigen Möglichkeiten einräumt. Gottes Gebot ist uns gegeben, um es zu tun. Das Rechte ist zu bedenken, um sich ihm in der Tat der Liebe zu unterwerfen.

Leiden: Ohnmacht gehört zu unserem Leben. Wir haben weder uns selbst noch das Leben in unserer Hand oder gar im Griff. Das kann zulassen, wer sich dem Gott anvertraut, der auch die Dinge, die uns aus der Hand genommen sind, in seine Hand nimmt. Gott eröffnet diese Freiheit des Loslassens und der Bejahung des Unvollendeten. Wir müssen im Glauben nicht der Tyrannei vollkommener, idealer Freiheit erliegen und sie gar diktatorisch ins Werk setzen. Revolutionen der Freiheit endeten häufig in Unfreiheit. Wo wir Gott im Blick haben, können wir loslassen, weil wir auf die Vollendung, die Gott schaffen wird, hoffen dürfen.

Tod: Freiheit wird hier auf der Erde nie vollendet werden. Christus befreit uns von der Vergänglichkeit und gibt uns Anteil an seiner Ewigkeit. Wir haben nicht nur das irdische Leben, dieses Leben ist nicht unsere letzte Gelegenheit. Das befreit von dem Diktat, jetzt und hier alles aus dem Leben herausholen zu müssen – auf Kosten anderer, der eigenen Gesundheit und der ausgebeuteten Welt. In dieser Freiheit können wir lernen zu lieben und zu dienen, im festen Vertrauen, dass Gott uns befreien wird zu vollkommenem Lieben in alle Ewigkeit.


[1]
                Eine tiefe Interpretation dieses Gedichtes findet sich bei Jürgen Henkys: Geheimnis der Freiheit. Die Gedichte Dietrich Bonhoeffers aus der Haft. Biographie, Poesie, Theologie, Gütersloh 2005, 180-204.

Gedanken zu einem Vortrag von Michael Herbst in Hinsicht auf eine Zeit »nach Corona«

Mittlerweile sind rund sieben Jahre vergangen, seit ich bei einem WillowCreek-Kongress ein Referat von Prof. Dr. Michael Herbst gehört habe, das mich seitdem immer wieder beschäftigt hat. In der heutigen Zeit, nach rund eineinhalb Jahren Gemeindearbeit unter Pandemie-Bedingungen, hat es, aus meiner Sicht, nichts von seiner Aktualität verloren.

Es ging dabei um die Frage, ob die Kirche (überhaupt noch eine) Zukunft hat. Diese Frage ist es doch auch, die uns heute bewegt! Sie verbirgt sich hinter der Frage, ob und wie man Menschen wieder zu (Jugend-)Gottesdiensten einladen kann, wie man in Zukunft Gruppenstunden denken kann, wie es gelingen wird, die guten Erfahrungen aus der digitalen Arbeit in die bisherigen Strukturen und Traditionen einfließen zu lassen … Letztlich geht es darum, wie es uns möglich sein wird, weiterhin die gute Nachricht von Gottes großer Liebe in einer Welt zu verbreiten, die so schnelllebig, oft auch beliebig und unverbindlich daherkommt und die immer wieder das eigene Wohl statt gelebte Solidarität in den Mittelpunkt stellt.

In seinem Referat bot Dr. Herbst damals fünf Optionen als Antwort an – je nachdem, aus welchem Blickwinkel man die Frage betrachten würde:

JA

In seinen Augen hat eine Kirche Zukunft, die offen ist für alle Menschen, sich an deren Bedürfnissen orientiert und dabei, im Gebet, dem Wort Gottes folgt.

NEIN

Eine Kirche, die mit alten Traditionen, Privilegien und viel Geld wuchert, aber dabei die Basis aus den Augen verliert, hat hingegen keine Zukunft.

VIELLEICHT

Dr. Herbst bot eine »tröstende Theologie« an, die »Kirche« als solche noch einmal differenziert betrachtet (als »Kirche Jesu« und als »irdische Kirche«) und deutlich macht:

Die »Kirche Jesu« als Salz der Erde und Licht der Welt wird Zukunft haben und selbst das Böse dieser Welt wird sie nicht überwinden. Die »irdische Gestalt« der Kirche aber kann »ihre Zeit gehabt haben« und in ihrer Form »vergehen« bzw. »abgelöst werden«. Wenn sie zum Beispiel den Weg Jesu verlässt und ihren Auftrag leugnet – dann wird Jesus eine neue Form für seine irdische Kirche finden und formen. Den Seinen wird er immer treu zur Seite stehen.

In Anlehnung an einen James-Bond-Film sprach Dr. Herbst von einem »Quantum Gnade« und forderte auf, über drei Fragen nachzudenken:

  1. Welches Klima braucht eine von Gott geschaffene Gemeinde?
    • Wer sich über die (finanziellen) Rahmenbedingungen den Kopf zerbricht, hat ja nicht unrecht, aber: Das ist nicht alles! Denn Gott denkt an kreatives Geschehen, wenn er Gemeinde denkt!
  2. Wie sehen wir unsere Kirche, bezogen auf das Gleichnis des verlorenen Sohnes?
    • Gemeinde ist dort, wo der Vater mit seinen verlorenen Kindern im Festsaal feiert!
      Können wir dann mitfeiern oder stehen wir als »ältere Söhne« eifersüchtig in der Ecke und sind neidisch auf das, was den verlorenen Söhnen geboten wird? Können wir erkennen, dass es echte Gemeinschaft mit Gott nur dann geben kann, wenn wir gemeinsam mit denen, die verloren waren, vor ihm stehen?
  3. Leben wir selbst eigentlich aus der Gnade Gottes oder möchten wir immer noch gerne stolz aus dem Schatz unserer guten Werke leben?

HOFFENTLICH

Hier formulierte Dr. Herbst drei Zonen des Glaubens:

  1. Gemeinde und Glauben so zu leben, wie ich es bereits kenne und liebe
  2. Aufzubrechen aus meiner Komfortzone, wenn Gott mich dazu beruft
    (z. B. wie Mose, Abraham, Maria, …)
  3. Nicht zu versuchen, eine »Kirche der Vergangenheit« zu retten, sondern sich aufzumachen in eine ungewisse und von Gott abhängige Zukunft

Er machte deutlich, dass in der dritten Zone die Aufgabe und Herausforderung einer Kirche mit Zukunft liegt.

GEWISS

Wenn Kirche sich aufmacht, neue Wege zu finden und sich nicht davor ängstigt, wenn es mal schwer und herausfordernd wird, wird sie erleben, wie Gott Zukunft schenkt – weil er versprochen hat: »Sei mutig und stark, denn Jesus ist mit dir und lässt dich nicht im Stich!«

Was lässt sich nun mit diesen Gedanken anfangen, mit der Erfahrung aus den letzten 18 Monaten mit Kontaktbeschränkungen, Zoom-Meetings und anderen digitalen Versuchen, die Kontakte nicht einschlafen zu lassen, sondern Mädchengruppe/Teenkreis/Gemeinde weiterhin lebendig zu gestalten?

Ich meine, diese Gedanken zeigen eine Richtung und geben wichtige Impulse, um die eigene, bisherige Arbeit noch einmal genau zu hinterfragen. Dann kann man sich, neu gegründet, aufmachen, um Kirche zu sein an dem Ort, an den Gott mich hingestellt oder an den er mich berufen hat und mit den Mitteln die ich dort finde. Ich darf fest darauf vertrauen, dass seine Verheißungen tragfähig sind und ich mich an ihnen festmachen darf, wenn mich meine Sorgen und Zweifel schütteln und zu Fall bringen wollen.

Kirche kann und sollte nicht länger (nur) als statische Institution gedacht werden, sondern als ein lebendiger Prozess eines lebendigen Gottes. Dieser Gott zeigt selbst mit so großer schöpferischer Kreativität in dieser Welt Präsenz, dass es ihm einfach nicht gerecht werden kann, wenn wir ihn in feste Mauern, Traditionen und Rituale sperren.

Eine Kirche der Zukunft kann nicht länger darauf warten, dass die Menschen schon zu ihr kommen werden – sie muss sich aufmachen zu den Menschen und ihnen in ihren Nöten und Bedürfnissen begegnen, muss ihnen zuhören und sie ernst nehmen.

Kirche braucht Antworten auf die Fragen dieser Generation und darf sich nicht scheuen, dabei die eigenen Traditionen zu hinterfragen. Sie muss überlegen, ob Jesus heute die Dinge genauso beurteilen würde, wie es uns unsere althergebrachten Überzeugungen vormachen. Das Wort Gottes ist ein lebendiges Schwert und kein starres Festhalten an alten Glaubenssätzen und manchmal, so scheint es mir, vergessen wir genau das.

Wenn wir hoffen und bangen, sind das Momente in unserem Leben mit einem ungewissen Ausgang. Oft müssen wir uns dabei mit Themen auseinandersetzen, die wir eigentlich eher meiden. Die Corona-Krise, die Flutkatastrophe und auch der Tod von Philipp Mickenbecker (Real Life Guys) haben auch junge Menschen aktuell ungewöhnlich stark mit diesen Herausforderungen konfrontiert und auch sehr berührt. Darum möchten wir euch mit unserem neuen KON-Thema Anregungen geben, auch solche Themen anzugehen. In Bibelarbeiten und Stundenentwürfe findet ihr Impulse, die ins Gespräch führen und begründete Hoffnung vermitteln.

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