Unser Abschnitt ist eines von vier so genannten „Gottesknechtsliedern“ im 2. großen inhaltlichen Abschnitt bei Jesaja (Kapitel 40-55, und darin: 42,1-4 + 50,4-9 + 52,13 – 53,12). Es gibt unterschiedliche Auslegungsansätze, wer dieser Gottesknecht gewesen sein könnte: ganz Israel oder ein unbekannter Diener Gottes oder der Prophet selbst? Viel spricht für die letzte Variante, nämlich dass ein Prophet im Auftrag Gottes zur Zeit des babylonschen Exils seelsorgerlich aufrichtend und ermutigend unter den Israeliten in der Fremde tätig war. Sein Ziel: das Vertrauen der Israeliten in Gottes Führungen und die Gewissheit seiner Nähe (auch im Exil) zu stärken und sie so auf ihre Rückkehr in die Heimat vorzubereiten.
Dabei ist der Prophet mit der Besonderheit konfrontiert, dass das Volk Symptome einer kollektiven Depression zeigt: die Israeliten in Babylon sind unempfänglich für Gottes (neues) Wirken und sein Wort (z.B. 41,19f. oder 43,8ff). Sie fühlen sich verlassen und vergessen (40,27 + 49,14). Sie sind müde und ohne Hoffnung (40,29), untröstlich (54,11), erleben sich selber als unbedeutend („Wurm“ 41,14) und jammern über die eigene Vergänglichkeit (40,6ff.). Schuldgefühle (44,22) und Gefühle der Ohnmacht und Ausweglosigkeit (45,1f.) zogen das ganze Volk runter.
Der Prophet richtet an dieses am Boden liegende Volk das Wort Gottes aus. Es sind kraftvolle und aufrichtende Worte: sie trösten, heilen, sprechen Vergebung und Neuanfang zu und eröffnen in eindringlichen Bildern neue Perspektiven.
Verse 1 + 6: Seine Botschaft gilt offensichtlich nicht nur Israel, sondern der ganzen Völkerwelt (von daher ist unser Abschnitt einer der ganz entscheidenden Texte im AT, in der sich die Wende vom Alten zum Neuen Bund abzeichnet).
Vers 2: „Schwert“ als Nahkampfwaffe für Israel, „Pfeil“ als Fernkampfgeschoss für die Völker; Bilder für die Durchsetzungsfähigkeit und Treffgenauigkeit des Wortes Gottes.
Verse 3+4: Vergewisserung des Auftrags durch Gott selbst und die eigene Frustration (Vers 4a) stehen hier in seltsamer Spannung.
Verse 5+6: Bestätigung und Erweiterung des Auftrags durch Gott.
Nicht nur an dieser Stelle kann man festmachen, dass die Gottesknechtslieder weit über die Situation der Israeliten im Exil hinaus greifen. Jesus selbst scheint sein eigenes Schicksal im Leben und Leiden des Gottesknechtes vorab gezeichnet zu sehen. Durch ihn selbst kommt die Rettung zu allen Völkern und somit die Verheißung zu ihrem Ziel.
Der Prophet steht erstmal ganz allgemein Modell für den an eine Aufgabe gewiesenen Menschen, der um seine „Berufung“ ringt in Zeiten des Scheiterns und der Erfolglosigkeit.
Spezieller ist die christliche Berufung: es geht darum, sich zuerst als geliebtes Kind Gottes und zweitens als „Gottes Mitarbeiter“ (1. Kor 3,9) zu begreifen. Hierfür ist unser Text eine wertvolle Hilfe im Umgang mit Frustration (lat. frustra – vergeblich): das können vermeintliche oder auch wirkliche Erfolglosigkeit sein, Selbstzweifel bezüglich der eigenen Berufung oder auch Mutlosigkeit im Hinblick auf die dafür vorhandenen Ressourcen (Gaben, Fähigkeiten, Kräfte).
Aus dem Zeugnis des Propheten können wir konkrete Richtung weisende Schritte für uns selber ableiten:
Schon Paulus scheint aus diesen Versen bei Jesaja Trost und Zuversicht für seinen eigenen Auftrag geschöpft zu haben: Er identifiziert sich mit dem Gottesknecht (Vers 1 – Gal. 1,15) und kennt auch Zweifel an der Effektivität seiner Arbeit (Vers 4 – Gal. 4,11).
Grundsätzlich heilsam war ihm die Erkenntnis: Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig (2. Kor 12,9 – vgl. den ganzen Abschnitt).
Je nach Vertrautheit der Gruppe lädt der Abschnitt aus Jesaja zu einem offenen und intensiven Bibelgespräch am Text ein. Dabei wäre es hilfreich, den Zusammenhang des Propheten-Wirkens zu beleuchten bzw. im Hinterkopf zu haben (Exil und kollektive Niedergeschlagenheit Israels, Auftrag und „Auftritt“ des Propheten).
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